Vatermord und andere Familienvergnuegen
Vandalin, in Ihrer Tasche haben Sie einen Schlüssel, oder etwa nicht? Ein Kriminaltechniker braucht nicht mehr als ein paar Sekunden, um die Lackspuren an Ihrem Schlüssel mit dem Lack an der Seite meines Autos zu vergleichen.«
Grünauge zog einen Schlüssel aus der Tasche und ließ ihn in eine Wasserpfütze fallen.
»Ups, wie ungeschickt von mir«, sagte sie, ging neben der Pfütze in die Knie und schrubbte den Schlüssel sauber, um ihn anschließend mit dem Ärmel ihres Parkas abzutrocknen. Dann steckte sie ihn in die Tasche zurück. »Tut mir leid, Geldsack«, flötete sie.
Wir durchquerten den Hyde Park, der soeben eine Transformation von Licht und Farbe durchlief. Die Morgendämmerung verschmolz mit den Schatten der Bäume. Da Grünauge kräftig ausschritt, nahm Dad meine Hand und drängte mich, mit ihr Schritt zu halten. Damals konnte ich nicht begreifen, was vor sich ging. Jetzt, im Nachhinein betrachtet, kommt mir seine wilde Entschlossenheit, dieser fremden Frau zu folgen, vor, als habe er irgendwie geahnt, welchen Schlamassel sie aus unserer Zukunft machen würde, und nicht zulassen wollen, dass sie sich herauswand.
Ratet mal, wen wir über dem Taylor Square hängen sahen, als wir das obere Ende des Parks erreicht hatten? Eine riesige, tief orangefarbene, pralle Sonne. Grünauge zündete sich eine Zigarette an. Wir drei sahen uns schweigend den Sonnenaufgang an, und ich dachte: Eines Tages wird die Erde in diese unheimliche Sonne hineingesaugt, und alle Chinarestaurants, alle Wasserstoffblondinen, alle schmierigen Kneipen und alle alleinstehenden Männer und alle Vandalen und alle Sportwagen werden in einem grellweißen Blitz ausgelöscht werden, und damit hat es sich dann. Es war ein Mordssonnenaufgang. Ich fühlte mich wie ein nackter Augapfel, als ich dort stand, ein Augapfel von der Größe eines Jungen, ein Augapfel mit Ohren und Nase und Zunge und tausend Nervenenden, die abstanden wie ungeschnittene Haare und alles berührten. Ich war alle Sinne zugleich, ein großartiges Gefühl.
Plötzlich war ich froh darüber, dass zu Hause niemand auf uns wartete. Normale Väter und Söhne können nicht die ganze Nacht unterwegs sein, um den Sonnenaufgangzusehen, wenn eine Frau und Mutter am geöffneten Fenster vor Sorge umkommt und einer ihrer knochigen, langen Finger über der Kurzwahltaste für den Polizei-Notruf schwebt. Ich wandte mich zu Dad und sagte: »Es ist gut, dass du allein bist.«
Ohne mich anzusehen, erwiderte er: »Ich bin nicht allein. Du bist hier.«
Ich spürte, dass Grünauge mich ansah, ehe sie ihren starren Blick auf Dad richtete. Dann ging sie weiter. Wir folgten ihr die Oxford Street hinunter zur Riley Street. Wir folgten ihr bis zu einem Reihenhaus in Surry Hills. »Danke, dass du mich nach Haus begleitet hast, Geldsack. Jetzt wisst ihr, wo ich wohne. Jetzt wisst ihr auch, wo mein Freund wohnt. Er kommt bald nach Hause und frisst euch bei lebendigem Leib zum Frühstück. Also verpisst euch«, kreischte sie. Dad setzte sich auf die Veranda vor der Eingangstür und zündete sich eine Zigarette an.
»Können wir jetzt bitte nach Haus gehen?«, bettelte ich.
»Noch nicht.«
Etwa zwanzig Minuten später kam Grünauge in Trainingshose und einem gelben Unterhemd wieder heraus. Sie hatte eine Wasserkanne in der Hand, in der irgendetwas schwamm. Bei genauerem Hinsehen stellte sich heraus, dass es ein Tampon war. Ein benutzter Tampon schwamm in der Kanne. Ein dünner Blutfaden zog sich durch das Wasser und zerfloss in Schleiern von Rot.
»Was haben Sie damit vor?«, fragte Dad angewidert.
»Reg dich ab, Geldsack. Ich gieße nur meine Pflanzen.«
Sie rührte das Wasser, in dem der Tampon schwamm, um und kippte dann das rote Wasser auf irgendwas auf dem Mäuerchen, das nach Marihuanapflanzen aussah. »Das ist krank«, sagte Dad.
»Aus diesem Körper gebäre ich Leben«, gab sie zurück. »Warum haben Sie mein Auto zerkratzt?« »Verpiss dich«, fauchte sie. Dann, an mich gewandt: »Möchtest du was trinken?«
»Nicht, wenn's aus diesem Krug kommt.« »Nein, aus dem Kühlschrank.« »Was haben Sie denn da?« »Wasser und Orangensaft.« »Orangensaft, bitte.«
»Gib deinem Dad nichts ab. Ich hoffe, er verdurstet.« »Versteh schon.«
Dads Hand klatschte auf meinen Hinterkopf herab. He! Warum sollte ich kein dummes Zeug reden? Ich war müde und gelangweilt, und das Ganze war mir peinlich. Warum war Dad nicht müde und gelangweilt, und warum war ihm nichts peinlich? Was wir machten,
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