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Vatermord und andere Familienvergnuegen

Vatermord und andere Familienvergnuegen

Titel: Vatermord und andere Familienvergnuegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Toltz
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aus der Bahn. Sein Leben lang hatte er alles getan, seine Verachtung für andere zu kultivieren, und stand kurz davor, seinen abschließenden Schuldspruch über die Welt zu fällen, als Anouk daherkam und alles umschmiss. »Weißt du, was dein Problem ist?«, sagte sie (so begann sie ihre Sätze immer). »Du hasst dich selbst, und darum hasst du andere. Ist doch bloß der Neid der Besitzlosen. Du bist zu sehr damit beschäftigt, über hehre Dinge zu lesen und nachzudenken. Die kleinen Dinge deines Lebens interessieren dich nicht, und darum verachtest du alle, bei denen es umgekehrt ist. Du hast dich nie so abgequält wie andere, weil dir nie so viel an irgendwas lag wie ihnen. Du weißt eigentlich gar nicht, was andere Menschen durchmachen.« Wenn sie ihm so etwas vor den Latz knallte, blieb Dad merkwürdig still und erhob nur selten Einwände.
    »Weißt du, was dein Problem ist?«, fragte sie eines Nachmittags, nachdem Dad ihr seine Lebensgeschichte erzählt hatte. »Du käust nur deine alten Gedanken wieder. Ist dir das klar? Du zitierst dich selbst, dein einziger Freund ist ein schleimiger Arschkriecher« - Eddie - »der allem zustimmt, was du von dir gibst, und du breitest deine Ideen nie vor einem Forum aus, in dem sich Widerspruch regen könnte, du erzählst sie einfach dir selbst und gratulierst dir dann, wenn du dir zustimmen kannst.«
    So ging das ununterbrochen, und im Lauf der nächsten Monate, in denen ich mich in meine unangenehme Pubertät zwängte und mein Verhältnis zu Dad täglich brüchiger wurde, als habe es Osteoporose, überschüttete Anouk nicht nur seine Ideen, seine Hoffnungen und seine Selbstachtung mit ätzender Kritik, sie nahm mich ebenfalls aufs Korn. Sie war es, die mir sagte, ich sei gerade mal so gutaussehend, um auf etwa zweiundzwanzig Prozent der weiblichen Bevölkerung attraktiv zu wirken. Ich hielt das für einen erbärmlichen Prozentsatz, einfach grauenhaft. Erst als ich gelernt hatte, die Einsamkeit in den Gesichtern von Männern zu lesen, wurde mir klar, dass es ein sensationeller Erfolg ist, wenn zweiundzwanzig Prozent aller Frauen einen attraktiv finden. Legionen von hässlichen, gotterbärmlich einsamen, hoffnungslos unbeholfenen Soziopathen da draußen, die unter die Kategorie null bis zwei Prozent fallen - Armeen von ihnen -, würden für meine zweiundzwanzig Prozent einen Mord begehen.
    Oh, und sie hielt mir auch eine Standpauke, weil ich die zweite Ladung von Fischen vernachlässigte.
    Das kam so: Dads Bankkonto füllte sich langsam wieder, und trotz der vorangegangenen Fischmord- (Selbstmord?-) -Episode, kaufte er unverdrossen noch einmal drei Fische, einfache Goldfische diesmal, als habe er festgestellt, dass es für die Haltung von Fischen je nach Spezies unterschiedliche Schwierigkeitsgrade gebe und das letzte Desaster der Tatsache geschuldet sei, dass er mir Fische gekauft hatte, die für jemanden meines Niveas zu schwierig waren. Goldfische waren für ihn Fische mit Stützrädern: unsterblich, unmöglich kaputt zu kriegen.
    Da hatte er sich geirrt. Letztendlich machte ich auch mit diesen Fischen kurzen Prozess, diesmal allerdings durch Unterfütterung. Sie verhungerten. Aber wir stritten uns bis zu und sogar noch an Dads Todestag, wessen Schuld dies eigentlich gewesen war. Ich war eine Woche nicht zu Hause, sondern bei meinem Freund Charlie, und ich schwöre bei Gott, dass ich beim Verlassen der Wohnung zu Dad sagte: »Vergiss nicht, die Fische zu füttern.« Dad hatte dies ganz anders in Erinnerung, seiner Version zufolge hatte ich beim Verlassen der Wohnung »Okay, bis dann« gesagt. Wie auch immer, irgendwann im Lauf dieser Woche erkrankten die Fische an einem schweren Fall von Unterernährung und kamen, anders als Menschen in einer ähnlichen Zwangslage, nicht darauf, zum Kannibalismus Zuflucht zu nehmen. Sie gingen einfach friedlich zugrunde.
    Anouk stellte sich in dieser Angelegenheit auf Dads Seite, und mir fiel auf, dass Dad nur dann in den Genuss eines Waffenstillstands gelangte, wenn er sich mit Anouk gegen mich verbünden konnte.
    Ich muss zugeben, dass ihre Beziehung mich vor ein Rätsel stellte. Sie waren ein unmögliches Paar, als habe man einen Rabbi und einen Pitbullzüchter auf einer einsamen Insel ausgesetzt; zwei wie Feuer und Wasser, die eine Krisensituation zusammengeführt hatte. Die Situation von Anouk und Dad war eine unbenennbare Krise, ohne Anfang und ohne Ende.
    Etwa ein Jahr nachdem Anouk bei uns angefangen hatte, kam ein Telefonanruf

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