Vatermord und andere Familienvergnuegen
war einfach durchgeknallt - auf der Treppe einer Fremden zu hocken und auf ein Geständnis zu warten.
Die Vordertür öffnete sich wieder. »Aber denk dran, worüber wir geredet haben«, sagte sie und gab mir ein Glas Orangensaft.
»Ich gebe ihm keinen Tropfen ab«, versprach ich.
Sie lächelte freundlich. In der anderen Hand hielt sie eine schwarze Sporttasche. Sie kniete neben Dad nieder und öffnete die Tasche. Es waren Umschläge und Briefe darin. »Wenn du mich schon belästigst, kannst du dich wenigstens nützlich machen. Steck die hier in die Umschläge.«
Dad nahm wortlos die Umschläge entgegen. Er setzte sich bequem hin und begann Briefumschläge anzulecken, als sei es die natürlichste Sache der Welt, auf der Eingangsveranda einer Fremden Briefumschläge anzulecken, und seine Zunge arbeitete, als sei es ihr einziger Daseinszweck, der Grund, warum wir uns alle hier um 6 Uhr morgens getroffen hatten.
»Was ist mit dir, Junge, willst du auch mithelfen?« »Ich heiße Jasper.«
»Möchtest du ein paar Briefumschläge anlecken, Jasper?« »Eigentlich nicht, aber na gut.«
Wir drei saßen auf der Veranda und bestückten geschickt und präzise unsere Briefumschläge. Man hätte unmöglich sagen können, was genau sich hier abspielte; es war, als wären wir alle improvisierende Schauspieler bei einer Studentenaufführung, und zwischendurch sahen wir uns immer wieder vergnügt und verstohlen an.
»Wie viel bekommen Sie dafür bezahlt?«, fragte Dad.
»Fünf Pfund pro hundert Umschläge.«
»Das ist nicht so toll.«
»Nein, wirklich nicht.«
Als sie das sagte, fiel mir auf, wie gelassen und freundlich ihr ernstes, strenges Gesicht geworden war.
Ich fragte: »Warum hassen Sie reiche Leute so?«
Ihre grünen Augen verengten sich: »Weil denen alles in den Schoß fällt. Weil arme Leute sich abstrampeln müssen, während die Reichen über die Temperatur ihrer Pools meckern. Weil normale Leute von der Justiz in die Pfanne gehauen werden, wenn sie in Schwierigkeiten geraten, und wenn die Reichen in Schwierigkeiten geraten, ist es ein Spaziergang für sie.«
»Vielleicht bin ich gar nicht reich«, sagte Dad. »Ich habe vielleicht einen roten Sportwagen, aber es ist das Einzige von Wert, das ich besitze.«
»Wen interessierst du schon?«
»Meinen Sohn.«
»Stimmt das?«, fragte sie mich.
»Glaub schon.«
Irgendetwas an diesem Gespräch lief nicht rund. Es war, als würde uns die Sprache gerade dann im Stich lassen, wenn wir sie am dringendsten brauchten.
»Wir brauchen eine Haushälterin«, sagte Dad plötzlich. Grünauges Zunge hielt mitten im Lecken inne.
»Ach tatsächlich?« »Ja. Tatsächlich.«
Grünauge legte die Umschläge hin, und ihre Gesichtszüge verhärtete sich wieder. »Ich weiß nicht, ob ich für irgendein reiches Schwein arbeiten will.«
»Warum nicht?«
»Weil ich dich hasse.«
»Na und?«
»Und dann wäre es Heuchelei.« »Nein, wäre es nicht.« »Ach, nicht?«
»Nein, dann wäre es Ironie.«
Grünauge dachte eine Weile darüber nach, und ihre Lippen bewegten sich lautlos, um uns zu verstehen zu geben, dass sie darüber nachdachte. »Ich habe einen Freund, wisst ihr.«
»Hält Sie das vom Putzen ab?«
»Und außerdem bist du viel zu alt und hässlich für mich. Ich werde nicht mit dir schlafen.«
»Hören Sie zu. Ich suche nur jemanden, der unsere Wohnung sauber hält und gelegentlich für Jasper und mich kocht. Jaspers Mutter ist tot. Ich arbeite rund um die Uhr. Ich habe keine Zeit zu kochen. Und, nur fürs Protokoll: Ich habe kein sexuelles Interesse an Ihnen. Ihr rasierter Schädel verleiht Ihnen etwas Maskulines. Und zudem ist Ihr Gesicht oval. Ich mag nur runde Gesichter. Oval reizt mich nicht. Da können Sie jeden fragen.«
»Mach ich vielleicht.«
»Also wollen Sie jetzt den Job?«
»Na schön.«
»Warum haben Sie mein Auto zerkratzt?«
»Ich habe dein Auto nicht zerkratzt.«
»Sie sind eine Lügnerin.«
»Und du bist ein Spinner.«
»Sie haben den Job.«
»Gut.«
Ich sah Dad an, der ein seltsames Gesicht machte, so als seien wir die ganze Nacht hindurch gewandert, um einen geheimen Wasserfall zu erreichen, und dies sei er nun. Wir machten mit den Umschlägen weiter, und aus dem Sonnenaufgang wurde ein Morgen.
Am ersten Abend, an dem Anouk zum Kochen und Putzen zu uns kam, war sie so verwirrt, dass es zum Totlachen war; sie hatte das weitläufige Haus eines reichen Mannes erwartet und stand dann in unserer winzigen und scheußlichen Wohnung, die
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