Vatermord und andere Familienvergnuegen
für Dad.
»Das kann nicht Ihr Ernst sein«, sagte er. »Gott, nein. Ganz kategorisch, nein. Und wenn Sie mich vergewaltigen und foltern. Wie viel verstehen Sie unter eine Menge? Tja, also dann, ja. Ja, ja, ich sagte doch Ja, oder? Wann fange ich an?«
Es waren gute Nachrichten! Eine US-amerikanische Produktionsfirma hatte von der Terry-Dean-Story gehört und wollte daraus einen Hollywood-Kassenschlager machen. Sie wollten Dad als Berater dabeihaben, damit auch wirklich alles stimmte, obwohl die Story jetzt in Amerika spielte und von einem toten Baseballspieler handelte, der aus der Hölle zurückkommt, um Rache an seinen Teamkollegen zu nehmen, die ihn zu Tode geprügelt hatten.
Es sah ganz so aus, als könnte Dad gutes Geld mit seinen Erinnerungen machen, aber warum ausgerechnet jetzt? Es hatte bereits in Australien mehrere wüst verfälschte Verfilmungen der Story gegeben, und Dad hatte sich geweigert, bei irgendeiner davon mitzuwirken. Warum diese Kapitulation, diese plötzliche Bereitschaft, die Leichen seiner nächsten Angehörigen zu fleddern? Es war ein weiterer von einer ganzen Reihe von erschreckenden Meinungsumschwüngen: dass Dad einverstanden war, sich von einem Drehbuchschreiber, der einen fetten Scheck mitbrachte, den Schorf vom Gehirn knibbeln zu lassen, um nachzusehen, wie es darunter aussah. Anouk mit ihrer unheimlichen Begabung, das Haar in der Suppe zu finden, sagte: »Weißt du, was dein Problem ist? Du lebst im Schatten deines Bruders«, und als eine Woche später der dreiundzwanzigjährige, Kaugummi kauende Autor fröhlich beschwingt in unserer Wohnung aufkreuzte, musste er nicht mehr sagen als: »Dann erzählen Sie doch mal, wie Terry Dean als Kind war«, um von Dad am Kragen gepackt und schwungvoll zur Tür rausgeworfen zu werden und seinen Laptop gleich hinterher. Einen Gerichtsauftritt später hatte sein neuer »Job« ihn viertausend Dollars gekostet und ihm einiges an unschöner Presse eingebracht. »Weißt du, was dein Problem ist?«, sagte Anouk an diesem Abend. »Du bist ein Fanatiker, aber du bist in allem fanatisch. Siehst du das nicht? Du überstrapazierst deinen Fanatismus.«
Aber wollen Sie wissen, was unser eigentliches Problem war? Man kann sich nicht selig in blinder Benebelung treiben lassen, wenn jemand neben einem steht und brüllt: Das ist Wollust! Das ist Hochmut! Das ist Trägheit! Das ist Gewohnheit! Das ist Pessimismus! Das ist Eifersucht! Das ist Sozialneid! Anouk störte unsere tief sitzende Gewohnheit, uns mühselig den Weg des geringsten Widerstands durch unsere beengte Wohnung zu bahnen. Wir kannten nur eine Art der Fortbewegung, nämlich uns schwerfällig unseren armseligen Begierden entgegenzuschleppen und laut zu schnaufen, um auf uns aufmerksam zu machen. Und die grenzenlos optimistische Anouk wollte Kreaturen wie uns in Superwesen verwandeln!
Sie wünschte sich, wir wären zuvorkommend, hilfsbereit, gewissenhaft, moralisch, stark, mitfühlend, liebevoll, selbstlos und tapfer, und sie ließ nie locker, bis wir uns nach und nach unklugerweise angewöhnten, darauf zu achten, was wir taten und sagten.
Nachdem sie uns monatelang damit genervt hatte, benutzten wir keine Plastiktüten mehr und aßen kaum noch irgendwas, das blutete. Wir unterschrieben Petitionen, schlossen uns fruchtlosen Protestaktionen an, inhalierten Weihrauch, verbogen uns in komplizierten Yoga-Stellungen - alles lohnende Etappen beim Aufstieg zum Gipfel der Selbstverbesserung. Aber es gab auch beschissene Neuerungen, tiefe Stürze in dunkle Abgründe. Durch Anouk lebten wir in Furcht vor uns selbst. Wer auch immer als Erster Selbsterkenntnis mit Veränderung gleichgesetzt hat, hatte keinen Respekt vor der Schwäche des Fleisches und sollte aufgespürt und totgebissen werden. Ich sage Ihnen auch, warum: Anouk richtete Scheinwerfer auf unsere Probleme, aber sie hatte weder das Talent noch das Know-how, uns bei deren Behebung zu helfen. Und wir wussten erst recht nicht, wie. Also hatten wir dank Anouk nicht nur die heikle Menagerie unserer ohnehin vorhandenen Probleme am Hals, sondern waren jetzt auch noch mit abscheulichem Problembewusstsein geschlagen. Was natürlich zu neuen Problemen führte.
3
Meinem Vater ging es ganz und gar nicht gut. Er weinte; er war in seinem Schlafzimmer und weinte. Ich konnte ihn durch die Wand hindurch weinen hören. Ich konnte ihn rastlos hin und her gehen hören. Warum weinte er? Ich hatte ihn noch nie weinen hören; ich dachte, er könnte das gar nicht.
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