Vatermord und andere Familienvergnuegen
weiß nicht.«
»Na gut. Dann lass uns über Decken reden. Möchtest du hohe Decken?«
»Natürlich. Wer will denn schon niedrige Decken haben?«
»Um sich aufzuhängen? Wart 'ne Sekunde. Mal nachsehen...« Dad schob seine Bücher hin und her. »Tipi?«
»O bitte, Dad, was ist aus deinem Verstand geworden? Du hast dich ja völlig verzettelt.«
»Du hast ja recht. Du hast ja recht. Wir müssen uns konzentrieren. Wir müssen vernünftig vorgehen. Wir müssen logisch vorgehen. Gehen wir also logisch vor. Welche Anforderungen muss das Haus erfüllen? Es sollte unseren körperlichen Bedürfnissen gerecht werden. Essen, schlafen, scheißen und ficken. Das heißt also: Es muss komfortabel, praktisch, effizient sein. Aber unsere psychischen Bedürfnisse? Nicht sehr viel anders. Ich wüsste nicht, warum wir uns in dieser Hinsicht vom Urmenschen abgrenzen sollten. Unser Ziel sollte darin bestehen, in einem beständigen Klima und vor Raubtieren geschützt zu leben.« »Toll.«
»Du musst bedenken, dass die Form unserer Behausung extreme Auswirkungen auf unser Verhalten haben wird. Da müssen wir klug vorgehen. Wie wäre es mit einem Iglu?«
»Nein.«
»Ein Haus auf Rädern! Eine Zugbrücke! Ein Wassergraben!«
»Nein! Dad! Du verlierst völlig die Kontrolle!«
»Okay! Okay! Machen wir es auf deine Art. Wir machen etwas Einfaches. Auf einer Sache muss ich allerdings bestehen, nämlich, dass der Grundgedanke unseres Hausentwurfs sich nach der alten italienischen Redensart richten sollte.«
»Welcher Redensart?«
»Weit genug weg zu sein, ist die beste Rüstung.«
Dieser Schuss ging offensichtlich nach hinten los. Dr. Greg sah diesen Brainstormings mit halb geschlossenen Augen schweigend zu. Dad phosphoreszierte geradezu vor Ideen, hatte aber leider den unerfreulichen Sprung von manisch-depressiv zu zwanghaft vollzogen.
Ich beschloss, erstmals mitzuspielen und ein braves Waisenkind auf Zeit zu sein, darum kehrte ich in das Heim für Findelkinder zurück. Es war vernünftig so, denn wenn ich schwänzte, würden sie mir jedes Mal auflauern, wenn ich Dad in der Klinik besuchte, und in ein Irrenhaus einzubrechen, ist genauso schwierig, wie daraus auszubrechen. Ich musste wieder zur Schule gehen. Mrs. French fuhr mich morgens hin, und in der Schule vermied ich es peinlichst, irgendwem von Dads Zusammenbruch zu erzählen oder von der Tatsache, dass wir beide in Einrichtungen für Gestörte lebten - darüber zu reden hätte bedeutet, mich der Realität zu beugen. Ich machte einfach weiter, als wäre alles wie immer. Natürlich war es jedes Mal ein Albtraum, wenn ich nachmittags aus der Schule kam, obwohl, wie sich herausstellte, kein Einziger in diesem Haus Anstalten machte, mich in irgendeiner Weise sexuell zu missbrauchen, und sich dort nichts Interessantes zutrug, außer dass ich irgendwann der bohrenden Neugier nachgab und mir von jedem seine Geschichte erzählen ließ. Sie waren allesamt weit schlimmer als meine. Und so raubten mir all die so ausgesetzten Kinder mein Selbstmitleid. Da war ich dann wirklich ganz unten. Ohne mein Selbstmitleid war mir gar nichts mehr geblieben.
Und schlimmer noch: Ab und zu gewährten die Idioten in der Klinik Dad Zugang zum Telefon. Ich nahm die Anrufe an und durchlitt Gespräche wie diese:
Meine Stimme: »Hallo?«
Dads Stimme: »Hier haben wir ein räumliches Dilemma: Wie können wir das Haus so gestalten, dass es für uns gemütlich ist, zugleich aber Gäste davon abhält, länger als fünfundvierzig Minuten zu bleiben?«
Meine: »Weiß ich nicht so genau.«
Dads: »Jasper! Das soll eine harte, praktische Übung sein! Keine halben Sachen! Etwas, das meine Persönlichkeit widerspiegelt, nein, mein Dilemma, meine Lüge, die natürlich meine Persönlichkeit ist. Und die Farbe. Ich möchte es weiß haben! Blendend weiß!«
Meine: »Lass uns doch bitte irgendwas Einfaches machen.«
Dads: »Ich bin voll und ganz deiner Meinung. Wir wollen etwas Einfaches, das von den Elementen erodiert wird. Wir wollen nichts, das dauerhafter ist als wir selbst.«
Meine: »Okay.«
Dads: »Offene Wohnräume. Nein. Das stört menschliche Intimität. Nein, warte, das will ich. Ich will...« Langes Schweigen.
Meine: »Dad? Bist du noch da?«
Dads: »Stierkampfarena! Gotische Kathedrale! Lehmhütte!«
Meine: »Nimmst du deine Medikamente?«
Dads: »Was wäre dir lieber, eine überdachte Terrasse oder eine Veranda? Wo ist da eigentlich der Unterschied? Warte. Es kommt mir nicht drauf an. Wir
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