Vatermord und andere Familienvergnuegen
Vorstellungen der Welt zu leben; es ist leicht, in der Einsamkeit nach unserer eigenen zu leben; aber wahrhaft groß ist der, der inmitten der Menge sich mit tadelloser Freundlichkeit die Unabhängigkeit der Einsamkeit bewahrt.< Das gelingt mir nicht!«
Und dann, beim zweiten Lesen, fand ich eine Passage, die es so schrecklich genau auf den Punkt brachte, dass ich tatsächlich: »Aha!«, ausrief, etwas, das ich noch nie zuvor getan hatte, und bis jetzt blieb es auch bei diesem einen Mal. Es war das, was auf Seite 101 stand:
»Pascal merkt an, dass zur Zeit der Französischen Revolution die Irrenhäuser leer waren. Die Menschen fanden plötzlich einen Sinn im Leben.«
Ich klappte das Notizbuch zu und ging ans Fenster, schaute auf das Geflecht der Dächer und Straßen und die Skyline der City hinab und richtete dann meinen Blick hinauf zum Himmel, zu den Wolken, die dort oben tanzten. Zum ersten Mal in meinem Leben wusste ich genau, was ich zu tun hatte.
Ich nahm den Bus zu Eddie und gelangte auf einem gewundenen Pfad durch einen teuren Farndschungel zum Vordereingang seines Sandsteinhauses. Ich klingelte. Man konnte das Klingeln von draußen gar nicht hören. Eddie musste verdammt gut mit seinen Striplokalen verdient haben - nur Reiche können sich eine solche Schalldämmung leisten; je mehr Geld man hat, desto dicker ist die Tür. Das ist der Lauf der Welt. Die Armen werden immer dünner, die Reichen immer dicker.
Eddie öffnete die Tür, den Kamm, von dem in dicken Tropfen Gel kleckerte, noch in seinem dünnen Haar. Ich kam gleich zur Sache.
»Warum bist du immer so gut zu meinem Vater?«
»Wie meinst du das?«
»Du bietest immer Geld und Hilfe und Gefälligkeiten an. Warum? Dad sagt, das ist seit dem Tag so, an dem ihr euch in Paris kennengelernt habt.«
»Das hat er gesagt?« »Ja.«
»Dann versteh ich nicht - was willst du denn wissen?«
»Deine Großzügigkeit. Was steckt dahinter?«
Eddies Gesicht war angespannt. Er kämmte sich fertig, während er nach den rechten Worten suchte.
»Und während du das beantwortest, beantworte mir das auch noch: Warum fotografierst du uns dauernd? Was willst du von uns?«
»Ich will gar nichts.«
»Es ist also einfach nur eine Freundschaft.« »Natürlich!«
»Dann könntest du uns eventuell eine Million Dollars leihen.« »Das ist zu viel.«
»Tja, wie viel könntest du aufbringen?« »Vielleicht, ich weiß nicht, ein Sechstel davon?« »Wie viel wäre das?« »Ich weiß nicht.«
»Also, Dad hat Geld auf die Seite gelegt, wie viel, weiß ich nicht, aber es wird nicht reichen.« »Wofür reichen?« »Ihm zu helfen.«
»Jasper, du hast mein Wort. Was immer ich tun kann oder euch geben kann.«
»Du gibst uns also ein Sechstel von einer Million Dollars?« »Wenn es dir und deinem Vater hilft.« »Du bist verrückt.«
»Ich bin nicht derjenige, der in der Klinik ist, Jasper.«
Plötzlich war es mir unangenehm, Eddie zu belästigen. Er war wirklich ein außergewöhnlicher Mensch, und diese Freundschaft bedeutete ihm offenbar sehr viel. Ich gewann sogar den Eindruck, dass sie für ihn eine tiefe spirituelle Komponente hatte, die auch nicht dadurch geschmälert wurde, dass Dad ihn gelegentlich aus tiefstem Herzen hasste.
Als ich wieder in die Klinik kam, war Dad in demselben olivgrünen Zimmer am Bett angeschnallt. Seine Augen rollten in seinem Kopf herum wie Murmeln in einer Teetasse. Ich beugte mich zu ihm hinunter und flüsterte ihm ins Ohr. Ich war mir nicht sicher, ob er zuhörte, aber ich flüsterte mich heiser. Anschließend zog ich mir den Stuhl heran, legte meinen Kopf auf seinen sich hebenden und senkenden Bauch und schlief ein. Als ich aufwachte, merkte ich, dass jemand eine Decke über mich gelegt hatte und eine krächzende Stimme redete. Ich wusste nicht, wann Dad seinen Monolog begonnen hatte, aber er war bereits in der Mitte eines Satzes.
»... und darum sagen sie, Architektur sei der Versuch, das Universum zu reproduzieren, und mit all den alten Kirchen und Klöstern habe man versucht, ein Abbild des Himmels zu bauen.«
»Was? Was ist los? Geht's dir gut?«
Ich sah nur seinen seltsam geformten Kopf. Er musste sich anstrengen, ihn oben zu halten. Ich stand auf, machte das Licht an und löste die Bettfesseln. Er drehte den Kopf hin und her, um seinen Hals zu testen.
»Wir werden eine Welt schaffen, Jasper, nach unseren eigenen Entwürfen, eine Welt, die niemand betreten kann, es sei denn, wir bitten ihn herein.«
»Wir bauen uns
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