Vatermord und andere Familienvergnuegen
gekommen sein? Vielleicht, weil Labyrinthe sich schon immer als eine (billige) Metapher für die Seele, die Conditio humana, die Komplexität eines Prozesses oder den Weg zu Gott angeboten haben. Nein, das schloss ich aus, denn es wäre zu tiefschürfend. Wenn ich eines weiß, dann, dass Männer Dinge nicht aus tiefschürfenden Gründen tun - die Dinge, die sie tun, mögen manchmal tiefschürfend sein, die Gründe hingegen nie. Nein, zu diesem hirnrissigen Plan musste ich ihn inspiriert haben, als ich ihm das alberne Rätselbuch mit den Labyrinthen mitgebracht hatte. Dass er an einer Knobelei für Kinder scheiterte, hatte ihn derart auf die Palme gebracht, dass sie sich in seinem Gehirn festsetzte, und als die Idee, sich ein Haus zu entwerfen und zu bauen, hinzukam, ging sie in der Labyrinth-Idee auf oder schlang sich darum herum; jedenfalls geschah irgendetwas, wodurch beide Ideen zu einer verschmolzen.
»Dad. Können wir nicht einfach ein Haus kaufen wie alle anderen auch und es nicht verstecken?« »Nö.«
Niemand konnte es ihm ausreden, ich nicht, Eddie nicht, und ganz bestimmt nicht Dr. Greg, der die Wahrheit erfahren hatte, als Dad zur Nachuntersuchung bei ihm war. Er sagte Dad klipp und klar, dass ein Labyrinth nicht dem Australischen Traum entspreche, was ja auch stimmt, aber am Ende erhob niemand allzu energische Einwände, weil außer mir niemand glaubte, dass er tatsächlich eines anlegen würde.
Wir sahen uns Grundstücke im gesamten Umland von Sydney an, und jedes Mal lief er die Grundstücksgrenzen ab, sah sich im Buschland um, nickte angesichts von Bäumen, Platz und potenzieller Abgeschiedenheit anerkennend mit dem Kopf. Die Häuser selbst schienen für ihn unwichtig zu sein, und er sah sich nur pro forma kurz darin um. Kolonialstil? Neoklassizistisch? Vik-torianisch? Modern? Das war ihm egal. Ihm kam es nur darauf an, dass das Haus nach allen Seiten hin von dichtem Buschland umgeben war. Er wollte ein undurchdringliches Dickicht von Bäumen, Büschen und Felsen, ein so dichtes Buschland, dass es selbst ohne Labyrinth kaum passierbar sein würde.
Während wir nach dem idealen Grundstück suchten, trug er Dutzende von Labyrinthen zusammen, von überallher, sei es aus Rätselheften oder alten Manuskripten über die Labyrinthe der Antike vom alten Ägypten bis zum England des Mittelalters; er nutzte sie in erster Linie als Inspirationsquelle, denn er wollte nicht einfach eine existierende Anlage kopieren. Er arbeitete wie besessen mit dem Bleistift in der Hand an einem komplexen, selbst ersonnenen Muster, das er dann auf dem Grundstück nachbilden würde. Es war sein erster großer Schritt hin zur Umgestaltung des real existierenden Universums kraft seines eigenen Geistes, daher beherrschte die Gestalt des Hauses sein gesamtes Denken: Es musste nicht nur in der Schutzhaft des Labyrinths sicher verwahrt sein, es musste sich auch als Palast des Denkens eignen, in dem sich Dad ohne Unterbrechungen ergehen und Ränke schmieden konnte - eine Basis für seine »Operationen«, was immer darunter zu verstehen war. Zusätzlich wollte er in die Irre führende Flure und Korridore, die einem Eindringling beziehungsweise »Gast« mehrfach brenzlige Entscheidungen abfordern und schließlich in Orientierungslosigkeit und/oder Hungertod und Wahnsinn münden würden. »Der unpassierbare Pfad« wurde sein neues Motto. Mein neues Motto war »Hölle auf Erden«. Warum? Weil diese Pläne mich bis in meine Albträume verfolgten. Mir schienen darin bereits all unsere zukünftigen Katastrophen vorgezeichnet, und je nachdem, welche Abzweigung wir nahmen, würde sich entscheiden, welches dieser Desaster uns ereilte. Nachts brütete ich selbst über den Entwürfen und versuchte, die uns bevorstehenden Kalamitäten herauszulesen.
Eines Nachmittags gingen wir los, um uns ein Stück Land eine halbe Stunde nordwestlich der Stadt anzusehen. Um das Grundstück zu erreichen, musste man einer Privatstraße folgen, einer langen, kurvenreichen Sandpiste, auf der man durch abgebrannte Wälder rumpelte, und die angekohlten Baumstümpfe wirkten wie ein Warnschild: Wenn du im Busch lebst, lebst du praktisch in einem Kriegsgebiet während einer nicht sehr verlässlichen Feuerpause.
Das Grundstück schien für Dads Zwecke wie geschaffen: das reinste Dickicht, unzugänglicher ging es kaum. Erst ging es steil bergan, dann fiel das Gelände wieder schroff ab, mäandernde, tief ausgewaschene Schluchten, große Flächen, auf denen der nackte
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