Vatermord und andere Familienvergnuegen
Fels hervortrat, gewundene Bachläufe, durch die man hindurchwaten musste, das dichte Grün des Buschwerks und hüfthohes Gras, das stabiles Schuhwerk erfordern würde. Als wir das Grundstück erkundeten, verirrten wir uns sofort, was Dad als gutes Zeichen deutete. Er stand auf dem leicht abschüssigen Gelände und besah sich den Boden, die Bäume, den Himmel. Ja, er überprüfte sogar die Sonne. Er schaute mitten hinein. Dann drehte er sich zu mir um und zeigte mit dem Daumen nach oben. Das war es!
Leider wurde das Haus keinerlei Prüfung unterzogen. Ich hätte es gnadenlos durchfallen lassen. Es war eine zugige, baufällige alte Bude - nicht mehr als der klassische zweistöckige Schuhkarton. Der Veloursteppichboden war dick und schmutzig, und wenn man das Wohnzimmer durchquerte, hatte man das Gefühl, man laufe über eine behaarte Brust. Die Küche stank wie ein Klo. Das Klo, moosüberzogen, sah aus wie ein Garten. Der Garten war ein Friedhof für Unkraut und totes Gras. Die Treppe knackte wie morsche Knochen. Die Decke starrte vor Blasen. Jedes Zimmer, das ich betrat, war kleiner und dunkler als das vorige. Der obere Flur wurde immer schmaler, je weiter man ihn hinunterging, und war am Ende kaum mehr als ein Punkt.
Das Allerschlimmste aber war, dass ich, um zur Schule zu kommen, erst einen halben Kilometer durch das Labyrinth und dann unsere lange Privatstraße runter zur nächsten Bushaltestelle latschen musste, nur damit ich zwanzig Minuten mit dem Bus zum Zug unterwegs war, und dann weitere fünfundvierzig Minuten bis an die Küste, wo meine Schule lag. Aber der Bus fuhr nur dreimal am Tag, und nur einmal davon am Morgen, und wenn ich ihn verpasste, dann hatte ich ihn verpasst. Ich wies Dads Vorschlag zurück, an eine neue Schule irgendwo in der Nähe zu wechseln, weil ich den Aufwand scheute, mir neue Feinde machen zu müssen. Bei den alten wusste ich wenigstens, woran ich war, so meine Logik.
Dad unterschrieb den Kaufvertrag am selben Nachmittag, und ich musste mich damit abfinden, dass der Bau dieses verrückten Luftschlosses begann. Ich wusste, dass ich es im Exil auf diesem Grundstück nicht lange aushalten würde, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis ich ausziehen und ihn sich selbst überlassen müsste - ein unangenehmer Gedanke, bei dem ich mich entsetzlich schuldig fühlte. Ich fragte mich, ob ihm das ebenfalls klar war.
Er bestellte die Handwerker, so schnell es ging, und die Tatsache, dass er nicht der Mann war, der auf einer Baustelle etwas verloren hatte (auch nicht, wenn es seine eigene war), hinderte ihn nicht daran, die Bauarbeiter zur Weißglut zu treiben. Sie knirschten mit den Zähnen, als er ihnen seine gigantischen Baupläne unterbreitete. Dad hatte die Anlage seines Irrgartens den natürlichen Gegebenheiten der Landschaft angepasst und bestand darauf, dass möglichst wenige Bäume zu Schaden kommen sollten. Er hatte nur noch vier Labyrinthe in der engeren Wahl, aber anstatt sich auf eines davon zu beschränken, brachte er sie alle auf dem einen oder anderen Abschnitt des Grundstücks unter, sodass vier gleichermaßen harte Nüsse zu knacken waren: Irrgärten innerhalb von Irrgärten, und in der Mitte unser ausgesprochen durchschnittliches Haus.
Ich werde nicht bis ins ermüdende Detail gehen - die Bebauungspläne, die Bauvorschriften, die Grenzziehung, die Verzögerungen, die unvorhergesehenen Komplikationen wie Hagelstürme und das unvermutete Verschwinden der Frau des Bauleiters, aber ich sage immerhin so viel, dass die Wände des Labyrinths aus Hecken, zahllosen Felsklumpen, dicken Rundsteinen, Sandsteinplatten, Granitblöcken und Abertausenden von Ziegelsteinen errichtet wurden. Da Dad den Arbeitern zutiefst misstraute, verteilte er die Pläne und übergab jede Sektion einem anderen Bautrupp. Die Männer verliefen sich regelmäßig auf den tausend Wegen und Pfaden, die sich auftaten, und Eddie begleitete uns oft auf unseren Suchexpeditionen. Er fotografierte ihre verärgerten Gesichter, wenn wir sie aufspürten.
Nach und nach jedoch nahmen die hohen Bruchsteinwälle und überdimensionalen Hecken Gestalt an, und das Haus war der Sicht entzogen. Eine Synthese von Haus und Panzer. Psychologisch komplex. Praktisch unzugänglich. Wir zogen ein, die willigen Opfer von Dads grenzenloser und tollkühner Imagination.
Als Anouk aus Bali zurückkam, war sie nicht so sehr überrascht als vielmehr stinksauer, weil sie alles verpasst hatte: den Zusammenbruch, das Kinderheim, die
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