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Vatermord und andere Familienvergnuegen

Vatermord und andere Familienvergnuegen

Titel: Vatermord und andere Familienvergnuegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Toltz
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wahrscheinlich noch nicht über ihn hinweg war, und dass er mit ihr besprochen hatte, dass er seinen alten Job zurückwollte, bedeutete wahrscheinlich, dass er noch nicht über sie hinweg war.
    Mir wollte das einfach nicht in den Kopf. Sie hatte mich belogen! Sie hatte mich belogen! Michl Von Rechts wegen war ich der Lügner in unserer Beziehung.
    Ich legte auf und warf meine Beine über den Rahmen des Betts wie zwei Anker. Ich stand nicht auf, sondern saß Stund um Stund auf dem Bett und brach den Bann nur kurz, um mich in der Arbeit krankzumelden. Gegen fünf stand ich endlich auf, setzte mich hinten auf die Veranda und krümelte Tabak aus einer Zigarette in eine Pfeife. Ich starrte in den Sonnenuntergang, weil ich meinte, darin ein Gesicht zu erkennen, ein Gesicht in der Sonne, das altbekannte Gesicht, das ich lange nicht gesehen hatte. Um mich herum veranstalteten die Zikaden einen Heidenlärm. Es klang, als kämen sie immer näher. Ich dachte daran, eine zu fangen und in meine Pfeife zu stopfen. Gerade überlegte ich, ob mich das wohl antörnen würde, da schoss eine rote Leuchtkugel in den Himmel. Ich legte die Pfeife weg und ging los in Richtung des Kondensstreifens, der am Himmel stand. Ich hatte ihr eine Leuchtpistole gegeben, weil sie sich im Irrgarten so oft verlief.
    Ich fand sie neben einem großen Findling und nahm sie mit zur Hütte. Dann berichtete ich ihr alles, was Brian mir erzählt hatte. Sie sah mich mit leeren, toten Augen an.
    »Warum hast du mir nicht gesagt, dass du ein Jahr bei ihm gewohnt hast?«, schrie ich.
    »Na ja, du warst mir gegenüber ja auch nicht ehrlich. Du hast mir nicht erzählt, dass Terry Dean dein Onkel ist!«
    »Warum auch? Ich hab ihn nie kennengelernt! Das ist ewig her. Ich war minus zwei Jahre alt, als er starb. Ich wüsste gerne, warum du mir verschwiegen hast, dass du über meinen Onkel Bescheid weißt!«
    »Hör mal, lass uns von jetzt an ehrlich zueinander sein«, schlug sie vor.
    »Ja, machen wir das.«
    »Kompromisslos ehrlich.«
    »Wir werden einander alles sagen.«
    Die Tür stand weit offen. Keiner von uns beiden ging hindurch. Dies war der geeignete Moment, Fragen zu stellen und zu beantworten - wie zwei Informanten, die feststellen mussten, dass sie zwei verschiedene Deals mit der Staatsanwaltschaft ausgehandelt hatten.
    »Ich gehe mal unter die Dusche«, sagte sie.
    Ich sah zu, wie sie durchs Zimmer ging, und als sie sich nach vorne beugte, um ein Handtuch aufzuheben, fiel mir die Kurve ihres Hosenbodens in der Jeans auf - geschwungen wie ein süffisantes Grinsen.
     

6
    Nach diesem Zwischenfall gewöhnte ich mir die Unart an, sie mit Höflichkeit und Respekt zu behandeln. Höflichkeit und Respekt sind angezeigt, wenn man den Richter anspricht, kurz bevor er einen verknackt, aber in einer Beziehung führen sie zu Unbehagen. Und ich fand es unerklärlich, dass sie immer noch nicht über Brian hinweg war. Es war keine unbegründete Paranoia. Sie hatte angefangen, mich mit ihm zu vergleichen, und zwar nicht gerade zu meinen Gunsten. Zum Beispiel war ich, wie sie sagte, nicht so romantisch wie er, nur weil ich in einem intimen Moment einmal gesagt hatte: »Ich liebe dich von ganzem Hirn.« Kann ich was dafür, dass sie nicht verstand, dass das Herz sich mit den Federn des Kopfs schmückt, dass wilde, leidenschaftliche Gefühle tatsächlich aus dem ältesten Teil des Gehirns, dem limbischen System, kommen, und dass ich es nur umgehen wollte, das Herz als den tatsächlichen Sitz all meiner Gefühle zu benennen, obwohl es doch genau genommen nichts ist als eine glitschige, blutige Pumpe, ein Filtersystem? Kann ich was dafür, dass die Leute sich nicht über ein Symbol freuen können, ohne daraus gleich ein Faktum zu machen? Was übrigens auch der Grund dafür ist, warum man niemals seine Zeit damit verschwenden sollte, der menschlichen Rasse allegorische Geschichten zu erzählen - in nur einer Generation werden sie daraus historische Fakten gemacht haben, mit Zeitzeugen und allem Drum und Dran. Oh, und dann war da das Glas.
    Es stand bei ihr, in ihrem Zimmer. Wir hatten gerade sehr leisen Sex gehabt, weil ihre Mutter im Nebenraum war. Ich genoss es in aller Stille, denn wenn man so laut sein darf, wie man will, ist man irgendwie schneller.
    Als ich anschließend überall auf dem Boden die Münzen zusammensuchte, die mir aus den Hosentaschen gefallen waren, sah ich unter ihrem Bett ein Gefäß, senfglasgroß, ausgefüllt mit einer milchigen Flüssigkeit, so wie das

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