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Vatermord und andere Familienvergnuegen

Vatermord und andere Familienvergnuegen

Titel: Vatermord und andere Familienvergnuegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Toltz
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Single bleiben. Wenn ihr sexuell Dampf ablassen müsst, geht zu einer Nutte. Braucht ihr eine innige Umarmung, geht zu eurer Mutter. Braucht ihr einen Bettwärmer für die kühlen Wintermonate, besorgt euch einen Hund, wenn auch nicht gerade einen Chihuahua oder Pekinesen. Aber seid euch über eines im Klaren: Mit euren Geheimnissen gebt ihr auch eure Sicherheit, eure Freiheit und euer Leben auf. Die Wahrheit wird die Liebe töten, und dann wird sie euch töten. Ich weiß, es ist hundsgemein. Aber noch gemeiner ist der Hammer des Richters, wenn er auf einen Mahagonitisch fällt.«
     
    Ich schlug das Buch zu, machte mir, im Bett liegend, Gedanken über Ehrlichkeit und Lügen und kam zu dem Ergebnis, dass meine Gefühle ehrlich waren, ich selbst aber voller Geschichten und Gedanken war, die ich dem Flammenden Inferno bislang nicht anvertraut hatte. Warum war ich instinktiv dem Rat des Buchs gefolgt, einem Buch, das für Kriminelle geschrieben war? Tja, wie konnte ich ihr all das offenbaren, was ich mir geleistet hatte? Dass ich mal ein paar Schlägern in die Hände gefallen war und mich schlafend gestellt hatte, während ich die Prügel bezog? Oder dass ich, als unsere Beziehung gerade mal eine Woche alt war, bei dem Gedanken, das Flammende Inferno könnte hingehen und mit jemand anderem schlafen, so eifersüchtig wurde, dass ich sofort selbst mit einer anderen schlief, womit ich mein Recht auf Eifersucht verspielt hatte? Nein, ich erzählte ihr ja nicht mal die guten Dinge, zum Beispiel, dass ich morgens manchmal aus dem Labyrinth zur Hauptstraße kam und feststellte, dass die Straßenbeleuchtung noch über mir summte, ein früher Wind die Bäume kitzelte und der vertraute Geruch von Jasmin meine Sinne berauschte. Beschwingt von der warmen Morgenluft, nahm ich einen Gartenzwerg aus irgendeinem Vorgarten und stellte ihn auf den Rasen schräg gegenüber. Dann nahm ich einen Gartenschlauch vom Rasen der einen Familie und schleppte ihn auf die Veranda ihrer Nachbarn. Heute gehört allen alles, Leute!, dachte ich. Was sein ist, ist dein! Was dein ist, ist sein! Später kam mir mein Treiben seltsam vor, also ließ ich die Geschichte nie an das Trommelfell meiner Geliebten dringen.
    Und weil mir so bewusst war, wie gründlich ich mit Dads Misstrauen gegenüber allem, einschließlich seiner eigenen Gedanken, Gefühle, Meinungen und Intuitionen, infiziert war - was dazu führte, dass ich meinen eigenen Gedanken, Gefühlen, Meinungen und Intuitionen misstraute -, konnte ich ihr auch nicht sagen, dass ich von Zeit zu Zeit in eine Art Trancezustand verfalle, in dem es ist, als ob alle widerstreitenden Kräfte des Universums ganz plötzlich und ohne erkennbaren Grund die Kampfhandlungen einstellten und ineinanderflössen, und ich das Gefühl habe, mir sei ein Stück der Schöpfung zwischen den Zähnen hängen geblieben. Vielleicht gehe ich gerade die Straße entlang oder bin dabei, die Adressen von Pornoseiten aus der Chronik meines Internetbrowsers zu löschen, und plötzlich habe ich das Gefühl, ich sei in einen zarten goldenen Nebel gehüllt. Was genau ist das? Eine Phase der Übersensibilität, in der aus Mir ein Wir wird, wobei das Wir sich aus Mir und einer Wolke oder Mir und einem Baum und manchmal Mir und einem Sonnenuntergang oder Mir und dem Horizont ergab, doch nur selten aus Mir und Butter oder Mir und abgeplatzter Emaille. Wie konnte ich ihr so etwas begreiflich machen? Beim Versuch, unkommunizierbare Vorstellungen zu kommunizieren, läuft man Gefahr, sie zu sehr zu vereinfachen, wodurch der organische Nervenkitzel am Ende zum organischen billigen Nervenkitzel verkommen könnte, und überhaupt, was würde sie mit diesen bezaubernden, unverständlichen Halluzinationen schon anfangen können? Sie könnte den vorschnellen Schluss daraus ziehen, ich sei, im Gegensatz zu anderen, tatsächlich eins mit dem Universum. Wie Dad sagte: Momente kosmischen Bewusstseins sind womöglich nichts weiter als eine natürliche Reaktion auf ein plötzlich auftretendes, unbewusstes Wissen um die eigene Sterblichkeit. Nach allem, was wir wissen, könnte gerade das Gefühl des Einsseins der beste Beweis für totale Isoliertheit sein. Wer weiß? Dass man glaubt, es sei einem eine große Wahrheit offenbart worden, heißt noch gar nichts. Wenn man einem Sinn misstraut, dann muss man allen misstrauen. Warum sollte der sechste Sinn weniger trügen als der Geruchssinn oder das Sehvermögen? Das ist die Lektion, die mich mein Vater gelehrt hat,

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