Vatermord und andere Familienvergnuegen
zählte zu denen, die nie kahl werden, die noch, wenn sie ins Grab sinken, einen Haarschnitt brauchen.
»Ich bin Dr. Peter Sweeny«, sagte er.
»Ich weiß, dass Sie Doktor sind. Sie müssen mir das nicht unter die Nase reiben. Wissen Sie nicht, dass der Titel nur für die Postanschrift nützlich ist? Um Sie von den zahllosen einfachen Mr. Sweenys dieser Welt zu unterscheiden?«
Der Doktor kippte den Kopf einige Millimeter zurück, als hätte ich eine feuchte Aussprache.
»Tut mir leid«, sagte ich, »ich bin wohl ein wenig gestresst. Sie nennen sich Doktor, na und? Sie haben sich das Recht, ihre Finger in den menschlichen Körper zu stecken, hart erarbeitet! Tag für Tag bis zu den Ellbogen im Gekröse, vielleicht wollen Sie da jedermann wissen lassen, dass Sie ein Doktor sind, damit Ihnen nicht einer einen Teller mit Innereien vorsetzt. Welches Recht habe ich dazu, den ersten Stein auf eines Mannes Titel zu werfen?«
»Sie machen einen recht angespannten Eindruck. Was kann ich für Sie tun?«
»Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich Krebs habe«, sagte ich. »Ich will nur, dass Sie tun, was nötig ist, um es mir zu bestätigen oder zu widerlegen.«
»An was für einer Art von Krebs glauben Sie denn zu leiden?«
»An was für einer Art? Ich weiß nicht. Welche ist denn die schlimmste?«
»Tja, bei Männern Ihres Alters kommt Prostatakrebs am häufigsten vor.«
»Sie sind im selben Alter wie ich!« »Okay - unseren Alters.«
»Tja, mein Krebs wird auf keinen Fall zu den häufigsten Krebsarten zählen, so viel kann ich Ihnen schon jetzt sagen. Welcher Krebs ist der schlimmste von allen, der absolut allerschlimmste?«
»Rauchen Sie?«
»Gelegentlich.«
»Würde ich rauchen, würde ich auf keinen Fall Lungenkrebs haben wollen, weil ich mir dann vermutlich auf dem ganzen Weg ins Grab in den Hintern treten würde.«
»Lungenkrebs! Ich wusste es. Das ist es. Den hab ich.«
»Sie scheinen sich ja ziemlich sicher zu sein.«
»Ich bin mir sicher.«
Es war zwar hinter dem Schreibtisch nicht genau zu sehen, aber er rückte ein wenig, als hätte er die Hand an die Hüfte gelegt. »Na schön«, sagte er schließlich. »Ich ordne die entsprechenden Tests an. Angenehm sind sie nicht.«
»Das ist Lungenkrebs auch nicht.«
»Da haben Sie recht.«
Ich will die folgende Woche nicht in allen Einzelheiten schildern - die unangenehmen Tests, die grausamen Wartezeiten, magenmalträtierende Angst. Jasper fiel natürlich nichts auf, aber Anouk spürte, dass etwas nicht in Ordnung war. Sie löcherte mich ständig, ihr zu sagen, was los war, aber ich hielt mich bedeckt. Ich wollte hundertprozentige Gewissheit, ehe ich mich jemandem anvertraute. Ich wollte niemandem falsche Hoffnungen machen.
Erst einen Monat später kam ich wieder in Dr. Sweenys Praxis, um die Ergebnisse zu erfahren. In der Zeit des Wartens hatte mich immer wieder die Hoffnung geplagt, und nichts, was ich tat, konnte diesem verflixten unterschwelligen Optimismus ein Ende setzen.
»Kommen Sie herein, Mr. Dean. Wie fühlen Sie sich?« »Verschwenden wir keine Zeit. Es ist Krebs, stimmt's?« »Allerdings.«
Früher sagte einem kein Mediziner, dass man sterbenskrank war. Das galt als unethisch. Heute ist es genau umgekehrt. Heute können sie es gar nicht abwarten.
»Lungenkrebs?«
»Leider ja. Woher wussten Sie das?«
Mein Gott! Es stimmte also! Mein eigener Körper wandte sich gegen mich! Ich bekam einen Lachkrampf.
Dann verging mir das Lachen - mir fiel wieder ein, was der Grund dafür war.
Verstört verließ ich die Praxis. Aha! Mein lebenslanger Pessimismus war also vollkommen berechtigt gewesen. Man stelle sich vor, ich wäre die ganze Zeit optimistisch gewesen! Käme ich mir da jetzt nicht verarscht vor? Ja, mir stand ein langsamer, qualvoller Tod bevor. Ich finde im Schlaf selten Frieden, daher war es unwahrscheinlich, dass ich friedlich entschlafen würde. Ich konnte bestenfalls darauf hoffen, unfriedlich zu entschlafen. O mein Gott - plötzlich waren alle anderen vorstellbaren Todesarten höchst unwahrscheinlich geworden. Wie oft kommt es schon vor, dass ein Mann, der an Krebs stirbt, plötzlich an einem Hühnerknochen erstickt? Oder geköpft wird, weil er auf seinem Bett herumhüpft und dabei den Deckenventilator vergisst? Oder dass er an einer Asbestvergiftung oder krankhaften Fettleibigkeit verreckt? Nein, es blieb gar nicht genug Zeit, so richtig lebensgefährlich zu verfetten. Wenn überhaupt, würde meine Krankheit mich
Weitere Kostenlose Bücher