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Vatermord und andere Familienvergnuegen

Vatermord und andere Familienvergnuegen

Titel: Vatermord und andere Familienvergnuegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Toltz
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Lippen kam.
    Am nächsten Tag wachte ich auf und beschloss, den ganzen Tag lang an nichts zu denken. Dann dachte ich mir: Ich denke doch gerade, oder? Dann dachte ich mir: Mein Tod ist mein Tod ist mein Tod mein grauenhafter schmerzhafter wimmernder Tod!
    Scheiße!
    Ich musste es tun. Ich würde mich umbringen.
    Und ich hatte eine Idee: Vielleicht sollte ich mich öffentlich umbringen. Warum sollte ich meinen Selbstmord nicht mit einem hehren Ziel verknüpfen, meinen Tod als Protest gegen irgendwas verkaufen - gegen die Anbauflächen vernichtende Politik der Welthandelsorganisation WTO. Oder könnte mein Tod nicht auch als Aufruf für einen Schuldenerlass für die Dritte Welt Bedeutung erlangen, was weiß ich? Erinnern Sie sich an das Foto von diesem Mönch, der sich selbst angezündet hat? Das war mal ein Bild, das haften blieb! Auch wenn man sich nur deshalb umbringt, weil es der Familie leidtun soll, sollte man sich einen guten Zweck heraussuchen, die Medien informieren, einen öffentlichen Ort wählen und sich dann erst umbringen. Wenn man ein völlig bedeutungsloses Leben gelebt hat, muss nicht auch noch der Tod bedeutungslos sein.
    Am nächsten Morgen hörte ich zufällig im Radio, dass um die Mittagszeit eine Demonstration in der Innenstadt geplant war. Leider richtete sich diese nicht gegen die Anbauflächen vernichtende Politik der Welthandelsorganisation oder forderte einen Schuldenerlass für die Dritte Welt, es ging nur um Grundschullehrer, die eine bessere Bezahlung und mehr Urlaub wollten. Ich versuchte, das Ganze positiv zu sehen. Dafür zu sterben lohnte sich genauso wie für alles andere, oder? Ich nahm nicht an, dass es einem der Lehrer so wichtig war, sich dafür zu opfern, stellte mir aber vor, sie würden sich darüber freuen, wenn ich ihr Anliegen zu dem meinigen machte. Ich nahm eine alte Stofftasche, packte eine Dose Benzin, ein Feuerzeug, geformt wie ein Frauentorso, und ein paar Schmerzmittel hinein. Ich wollte mich nicht vor dem Tod drücken; ich hoffte nur, um die Schmerzen herumzukommen.
    Sydney ist eine der schönsten modernen Städte der Welt, aber ich schaffe es immer wieder, an der Kreuzung Trostlos und Tristesse zu landen, und das ist somit immer in einem Teil der Stadt, wo man sich nirgends setzen kann; somit ging ich den ganzen Morgen spazieren, schaute wildfremden Leuten ins Gesicht und dachte mir dabei: Bis bald! Ich würde jetzt sterben, aber wenn ich ein Dreifachkinn sah, wusste ich, dass ich es bald im Jenseits wiedertreffen würde.
    Gegen zwölf stieß ich zu den Demonstrierenden. Die Beteiligung war erbärmlich. Etwa vierzig Leute hielten Schilder hoch, auf denen stand, dass sie mehr Respekt forderten. Ich hielt es für unwahrscheinlich, dass jemand, der Respekt erst einfordern muss, ihn je bekommen würde. Es waren auch einige Kamerateams da, meist ziemlich junge Leute, wahrscheinlich alle im ersten Arbeitsjahr. Um mich zu filmen, benötigt man keinen kampferprobten Kriegsberichterstatter, der schon in Vietnam im Kugelhagel gestanden hatte, daher reihte ich mich unter die Demonstranten ein, kam zu einigen grimmig dreinblickenden Frauen, denen ich meine Kinder nicht anvertrauen würde, und schaukelte mich in die Geistesverfassung hinein, die ich für meinen Selbstmord benötigen würde. Dazu musste ich nichts weiter tun, als mir gnadenlos negative Gedanken über die Bewohner des Planeten Erde zu machen. Als ich mich so gut wie bereit fühlte, kramte ich meine Schmerzmittel hervor, stellte dann aber fest, dass ich nicht daran gedacht hatte, eine Flasche Wasser mitzubringen. Ich ging zu einem nahen Café und bat um ein Glas Wasser. »Sie müssen etwas verzehren«, sagte eine Kellnerin zu mir, deshalb orderte ich ein spätes Frühstück: Speck, Eier, Würstchen, Pilze, baked beans, Toast und Kaffee. Ich aß zu viel; das Essen in meinem Magen machte mich schläfrig. Ich hatte mir gerade meinen zweiten Espresso bestellt, als ich sah, wie eine Berühmtheit aus dem Restaurant auf der anderen Straßenseite traf: einen ehemaligen Fernsehjournalisten. Ich erinnerte mich vage daran, dass er in irgendeinen Skandal verwickelt und geschasst worden war. Was war passiert? Die Frage ließ mir keine Ruhe. Hatte er sich vor laufender Kamera nass gemacht? Hatte er über den Zustand der Welt schwadroniert und im nationalen Fernsehen behauptet, für alle würde alles gut ausgehen? Nein, das war es nicht.
    Ich bezahlte, ging in seine Richtung und wollte ihn gerade bitten, mir seine öffentliche

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