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Vatermord und andere Familienvergnuegen

Vatermord und andere Familienvergnuegen

Titel: Vatermord und andere Familienvergnuegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Toltz
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geliebt wurde, der immer noch in populärwissenschaftlichen Schwarten über den typischen Australier auftauchte, genauso wie in Bildern, Romanen, Comics, Dokumentarfilmen, Fernsehspielen und der einen oder anderen Magisterarbeit. Um meinen Bruder herum war eine ganze Industrie entstanden. Als ich in der Bibliothek nachforschte, fand ich nicht weniger als siebzehn Bücher, die (inkorrekt) die Terry-Dean-Story nachzeichneten, außerdem zahllose Verweise auf ihn in Büchern über den australischen Sport, über das australische Verbrechen und in solchen, die sich dem langweiligen, narzisstischen Thema des australischen Nationalcharakters widmeten. Und der Gipfel meines kreativen Lebenswerks war, dass ich ein dämliches Labyrinth angelegt hatte!
    Ich wunderte mich darüber, dass mich niemand aufgehalten hatte. Ich fragte mich, warum mein Freund Eddie mir das Geld so bereitwillig gegeben hatte, wohl wissend, dass ein Mann, der in einem selbst entworfenen Labyrinth lebt, auf jeden Fall verrückt werden muss. Und mehr noch, ich hatte ihm bisher nichts zurückgezahlt, aber er unterstützte mich weiterhin finanziell. Seit ich ihn in Paris kennengelernt hatte, lieh er mir auf derart grausame Weise Geld und, was noch schlimmer war, er hatte es mit höchster Brutalität und ohne Gewissensbisse nie zurückgefordert. Niemals! Ich gelang zu der Überzeugung, dass er heimliche Beweggründe hatte, und steigerte mich diesbezüglich in eine paranoide Raserei hinein, bis mir schließlich klar wurde, dass ich meinen besten Freund hasste. Als ich über seine Gesten und Äußerungen, die er in meiner Gegenwart gemacht hatte, nachdachte, kam ich zu dem Schluss, dass er mich genauso hasste und dass vermutlich auf der ganzen Welt Freunde einander hassten und ich mir darüber nicht den Kopf zerbrechen sollte, aber diese plötzliche Einbildung, dass Eddie mich in Wirklichkeit verabscheute, bereitete mir nun einmal Kopfzerbrechen. Was mich beschäftigte, war die Frage, warum mir das denn nie zuvor aufgefallen war.
    Hinzu kam, dass mich, zu meiner Schande sei es gesagt, mein Sohn als Mensch so gut wie nicht mehr interessierte. Ich weiß nicht genau, warum. Vielleicht hatte sich der Wert der Nachricht darüber, wie die eigene Nase und die eigenen Augen im Gesicht eines anderen aussehen, einfach erschöpft. Vielleicht aber auch, weil ich an ihm etwas Schmieriges, Rückgratloses, Rastloses und Geiles spürte, etwas, das ich auch an mir selbst entdeckt hatte. Möglicherweise aber deshalb, weil er es - nachdem ich ihm ein Leben lang den Stempel meiner Persönlichkeit hatte aufdrücken wollen - geschafft hatte, vollkommen anders zu werden als ich selbst. Irgendwie war er verträumt und positiv geworden und nahm Sonnenuntergänge so todernst, als sei ihr Ausgang nicht immer unweigerlich derselbe. Es schien ihm Freude zu machen, in der freien Natur herumzuspazieren, der Erde zuzuhören und Pflanzen zu befummeln. Man stelle sich das vor, ein Sohn von mir! Ist das nicht Grund genug, sich von ihm abzuwenden? Vielleicht - aber um ehrlich zu sein, war der Grund dafür, dass ich das Interesse an ihm verlor, dass er das Interesse an mir verloren hatte.
    Es fiel mir zunehmend schwerer, mit ihm oder auch nur zu ihm zu sprechen, die Schweigephasen zwischen uns wurden immer länger, und irgendwann konnte ich kein einziges Wort mehr an ihn richten oder auch nur einen einzigen Laut von mir geben, nicht mal mehr ein »Oh« oder ein »Hm«, ohne ihn anzuwidern. Bei jedem Blick, bei jeder Geste spürte ich, dass er mir alle nur denkbaren elterlichen Schwerverbrechen vorwarf - von Kindstötung einmal abgesehen. Er weigerte sich vollkommen, mit mir über sein Liebesleben, sein Sexleben, sein Arbeitsleben, sein Sozialleben oder sein Innenleben zu sprechen. Es kamen so viele Tabuthemen zusammen, dass ich darauf wartete, wann er mir das »Guten Morgen« verbieten würde. Es ist nicht meine Art, Konversation zu betreiben, gegen die er einen Widerwillen hat, dachte ich, es ist meine gesamte Existenz. Wenn ich ihn mit einem Lächeln begrüßte, runzelte er die Stirn. Wenn ich die Stirn runzelte, lächelte er. Er bemühte sich, so gut er nur konnte, eine spiegelverkehrte Ausgabe von mir zu werden. Was für ein Undank! Nach allem, was ich ihm beizubringen versucht habe: dass es vier Arten von Menschen auf dieser Welt gibt - solche, die von der Liebe besessen sind, solche, die sie bekommen, solche, die als Kinder über geistig Behinderte lachen, und solche, die dies tun, bis sie

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