Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vatermord und andere Familienvergnuegen

Vatermord und andere Familienvergnuegen

Titel: Vatermord und andere Familienvergnuegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Toltz
Vom Netzwerk:
brauche dazu Ihre Erlaubnis nicht.«
    »Stimmt - die brauchen Sie nicht.«
    »Martin. Sie sollten dankbar sein. Ihr Bruder war zwar meiner Meinung nach ein gefährlicher Irrer, den zu feiern Australien keine Veranlassung hat, aber...«
    »Genau das war er!«, rief ich wie elektrisiert, tatsächlich hatte bislang noch niemand es gewagt, diese naheliegende Ansicht zu äußern.
    »Tja, das sieht ja ein Blinder mit Krückstock. Der springende Punkt ist, er wird in diesem Land geradezu angebetet, und Ihre enge Beziehung zu ihm ist die Eintrittskarte, die Sie brauchen, um ernst genommen zu werden.«
    »Okay, aber ich...«
    »Aber Sie wollen nicht, dass wir jetzt wieder und wieder damit anfangen. Das ist Ihr Projekt, das ist Ihr Moment im Rampenlicht, und Sie wollen nicht, dass Ihr längst verstorbener Bruder Sie auch noch vom Grab aus in den Schatten stellt.«
    »Kumpel, genau das ist es!«
    »Nach dieser ersten Woche, Marty, werden auch Sie zu Ihrem Recht kommen, keine Angst.«
    Ich musste zugeben, Oscar Hobbs war ein wahrer Gentleman. Er wurde in der Tat mit jedem Treffen charmanter. Er schien mich auf Anhieb zu verstehen. Vielleicht, dachte ich, sollten die Leute begreifen, dass Nepotismus nicht notwendigerweise bedeutet, dass ein Idiot es an die Spitze schafft.
    »Also, kommen wir zu den Einzelheiten. Wie haben Sie sich das gedacht?«
    »Okay. Die Idee ist einfach. Sind Sie bereit?«
    »Bereit.«
    »Gut. Hören Sie sich das an. Wenn bei einer Bevölkerung von ungefähr zwanzig Millionen jeder Australier nur einen einzigen Dollar an eine bestimmte Adresse schicken und dieses Geld durch zwanzig geteilt würde, würden in jeder Woche des Jahres zwanzig australische Haushalte Millionäre werden.«
    »Das ist es? Das ist Ihre Idee?«
    »Das ist meine Idee.«
    Oscar lehnte sich in seinem Schreibtischstuhl zurück und setzte ein Denkergesicht auf. Es sah genauso aus wie sein normales, nur ein wenig kleiner und verkniffener.
    Das Schweigen versetzte mich in Unruhe. Ich schmückte die Idee mit ein paar Einzelheiten aus.
    »Und wenn nach der ersten Woche die Leute, die in der vorangegangenen Woche Millionäre geworden sind, als Dankeschön eine einmalige Zahlung von eintausend Dollars leisteten, stünde uns damit ab der ersten Woche ein wöchentliches Budget von zwanzigtausend Dollars für die organisatorische Abwicklung zur Verfügung.«
    Oscar begann, rhythmisch mit dem Kopf zu nicken. Ich setzte noch eins drauf: »Meiner Berechnung zufolge müssten also am Ende des ersten Jahres tausendvierzig Familien Millionäre geworden sein, im zweiten Jahr wären es dann zweitausendachtzig Millionäre, im dritten Jahr dreitausendeinhundertzwanzig und so weiter. Also, dreitausendeinhundertzwanzig Millionäre innerhalb von drei Jahren ist nicht schlecht, aber bei diesem Tempo würde es trotzdem grob kalkuliert neunzehntausendzweihundertdreißig Jahre dauern, bis jeder Australier Millionär geworden wäre, und dabei ist der Bevölkerungszuwachs noch nicht einbezogen.«
    »Oder Bevölkerungsschwund.«
    »Oder Bevölkerungsschwund. Aber damit die Anzahl australischer Millionäre exponentiell zunimmt, müssen wir die Zahlungen jedes Jahr um einen Dollar anheben, also im zweiten Jahr zwei Dollars pro Woche nehmen - das macht dann vierzig Millionäre pro Woche beziehungsweise zweitausendachtzig Millionäre im Jahr; im dritten Jahr nehmen wir drei Dollars - sechzig Millionäre pro Woche beziehungsweise dreitausendeinhundertzwanzig Millionäre im Jahr und so weiter, bis jeder in Australien Millionär ist.«
    »Das ist Ihre Grundidee.«
    »Das ist meine Idee!«
    »Wissen Sie, was?«, sagte er. »Das ist so simpel, dass es sogar funktionieren könnte.«
    »Auch wenn es nicht funktioniert«, sagte ich, »was sonst sollten wir mit diesem bittren Stückchen Zeit anfangen, dem man den Namen Leben verleiht?«
    »Martin. Sagen Sie so etwas nie in einem Interview, okay?« Ich nickte verlegen. Vielleicht hatte er das Zitat nicht erkannt, weil ich es nicht auf Italienisch wiedergegeben hatte.
     
    In dieser Nacht tauchte Eddie, gekleidet in seiner üblichen Kombination aus frisch gebügelter Hose und knitterfreiem Hemd, vor dem Haus auf und mit diesem Gesicht, bei dessen Anblick ich mich immer fragte, ob man in asiatischen Kaufhäusern auch asiatische Schaufensterpuppen habe. Ich hatte ihn eine Zeit lang nicht gesehen. Eddie verschwand in regelmäßigen Abständen und tauchte in regelmäßigen Abständen wieder auf. Das war seine Hauptbeschäftigung. Als ich

Weitere Kostenlose Bücher