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Vatermord und andere Familienvergnuegen

Vatermord und andere Familienvergnuegen

Titel: Vatermord und andere Familienvergnuegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Toltz
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Breichen wartete. Absurd! Marschierte Hitler vielleicht im Stechschritt an die Brust seiner Mutter?«
    »Mr. Dean, ich muss gehen.«
    »Oh, schön, ich bin froh, dass wir das geklärt haben«, sagte ich, und als sie ging, hätte ich ums Verrecken nicht sagen können, was wir geklärt hatten, und ob überhaupt.
     
    Am nächsten Abend erwischte Jasper mich mit Anouk im Bett. Er flippte aus. Ich weiß nicht, warum ihn das so aus der Fassung brachte - vielleicht ist der Ödipuskomplex in kaputten Familien wie der unseren besonders stark; der Wunsch des Sohnes, den Vater zu töten und seine Mutter zu ficken, ist eine vielleicht weniger abstoßende Vorstellung, wenn es sich nur um die Ersatzmutter handelt. Als würde er meine Ekeltheorie bestätigen wollen, reagierte Jasper äußerst verletzt und zornig. Ich nehme an, irgendwann lässt sich jeder von einem sinnlosen Ausbruch überwältigen, der ihn alle Glaubwürdigkeit kostet, und nun war Jasper an der Reihe. Es gab keinen nachvollziehbaren Grund, warum er gegen die gelegentliche körperliche, schweißtreibende Vereinigung von Anouk und mir etwas einzuwenden haben sollte, und das wusste er auch. Aber kurz darauf kam er zu mir und sagte, er ziehe aus. Wir standen etwa eine Minute lang schweigend da. Es war eine Riesenminute, nicht lang, aber intensiv.
    Ich lächelte. Ich fühlte das Gewicht meines Lächelns. Es war unsäglich schwer.
    Sein Abgang von der Bühne drohte ein Jahrhundert zu dauern, aber dann war doch alles überraschend schnell vorbei. Nachdem er gesagt hatte: »Ich ruf dich an«, hörte ich den schwungvollen Rhythmus seiner sich entfernenden Schritte. Am liebsten hätte ich ihn zurückgerufen und auf die Mitleidstour dazu gebracht, Kontakt mit mir zu halten.
    Er war fort.
    Ich war allein.
    Meine eigene Anwesenheit lastete so schwer auf mir wie mein Betonlächeln.
    So! Hatte er mich also in meiner dunklen Nische, in meinem Wirbelwind der Einsamkeit zurückgelassen. Kinder sind ein kompletter Reinfall, oder? Wie die Leute in ihnen dauerhafte Erfüllung finden können, ist mir ein Rätsel.
    Ich konnte nicht glauben, dass er fort war.
    Mein Sohn!
    Die entwischte Samenzelle! Meine missglückte Abtreibung!
    Ich ging nach draußen und sah mir die in den Nachthimmel eintätowierten Sterne an. Es war eine dieser magnetischen Nächte, in denen man das Gefühl hat, körperlich alles entweder anzuziehen oder abzustoßen. Die ganze Zeit über hatte ich gedacht, mein Sohn würde mein Spiegelbild werden, aber das war er nicht - er war stattdessen zu meinem Gegenpol geworden, und das hatte ihn von mir wegkatapultiert.
     
    Eine Woche später war mir zumute, als hätte ich mich in einer dunklen, schweren Wolke verlaufen. Anouk war mehrere Tage nicht aufgetaucht, und ich saß in ihrem Atelier inmitten von Gipsgenitalien und schämte mich zutiefst, weil ich Langeweile hatte. Wie kann es sich ein Sterbender erdreisten, sich zu langweilen? Die Zeit tötete mich, und ich rächte mich, indem ich die Zeit totschlug. Jasper war fort; Anouk hatte mich sitzen lassen. Der einzige Mensch, der mir geblieben war, war Eddie, aber ihn konnte ich nur in kurzen Feuerstößen ertragen. Eine Schande, dass man nicht ausgehen und Leute zehn Minuten lang besuchen kann. Mehr menschlichen Kontakt brauchte ich nicht, um wieder weitere drei Tage meines Lebens zu überstehen - danach brauchte ich dann wieder zehn Minuten. Aber man kann auch niemanden nur für zehn Minuten einladen. Die Leute bleiben und bleiben und gehen ewig nicht weg, und ich muss immer irgendetwas Harsches sagen wie: »Sie gehen jetzt.« Jahrelang hatte ich es mit dem beliebten: »Jetzt will ich Sie nicht länger aufhalten«, probiert, oder mit: »Ich habe Ihre Zeit schon viel zu lange in Anspruch genommen«, aber es hatte nie funktioniert. Es gibt viel zu viele Leute, die nichts Besseres zu tun haben und nirgendwo erwartet werden und nichts lieber tun, als ihr ganzes Leben mit Quatschen zu vergeuden. Ich habe das nie verstanden.
    Als ich Anouks Stimme hörte, wie sie meinen Namen rief, wehte reinste Freude durch mein Herz, und ich rief: »Ich bin hier! Im Atelier!«Ich fühlte, wie das sexuelle Verlangen in mir ansprang und hatte sofort die überstürzte Idee, mich auszuziehen. Ich erinnere mich kaum daran, mich aus meinen Kleider herausgeschält zu haben, so begierig war ich auf die Vereinigung, und als sie zur Tür hereinkam, war ich splitternackt und strahlte sie an. Erst konnte ich ihr Stirnrunzeln nicht deuten; dann fiel mir

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