Vatermord und andere Familienvergnuegen
delegiert. Mir blieb nichts anderes übrig, als an meinem Ausdruck gewissenhafter Bedachtsamkeit zu feilen, bei diversen Kontrollstellen nachzufragen, wie es voranging, und dann so zu tun, als interessierten mich die Antworten.
Eddie hingegen legte sich krumm bei den Vorbereitungen für die Party. Ich sah ihm zu, wie er emsig irgendetwas hinkritzelte, und fragte mich, ob er sich je so gefühlt hatte wie ich - ein paar verirrte Moleküle, aus denen man eine ziemlich unwahrscheinliche Person zusammengemixt hatte. Und plötzlich hatte ich eine tolle Idee.
»Eddie«, sagte ich. »Diese Liste mit den zukünftigen Millionären - sind davon auch welche aus Sydney?« »Drei«, sagte er. »Warum?«
»Sei so nett und gib mir die Unterlagen über sie, ja?«
Der erste Millionär kam aus dem Stadtteil Camperdown. Er hieß Deng Agee und stammte aus Indonesien. Er war achtundzwanzig, verheiratet und hatte ein drei Monate altes Baby. Das Haus wirkte, als sei es komplett verlassen. Ich bekam keine Antwort, als ich klopfte, aber zehn Minuten später sah ich ihn mit schweren Einkaufstüten nach Hause kommen. Zehn Meter vor dem Haus platzte die Plastiktüte in seiner linken Hand, und seine Einkäufe klatschten auf den Gehweg. Er schaute auf seine eingedellten Thunfischdosen hinab, als bräche es ihm das Herz.
Ich lächelte freundlich, damit er mich nicht aus der Zeitung wiedererkannte.
»Wie geht es Ihnen, Deng?«, zwitscherte ich.
Er blickte auf. »Kennen wir uns?«
»Es geht Ihnen also gut? Haben Sie alles, was Sie brauchen?« »Verpissen Sie sich.«
Er hatte keine Ahnung davon, dass er in einer Woche Millionär sein würde. Es war zum Totlachen.
»Leben Sie gerne hier, Deng? Ist ja doch eher eine Bruchbude, wenn ich mal so sagen darf.«
»Was wollen Sie? Ich rufe die Polizei.«
Ich ging zu ihm hin, bückte mich und tat so, als würde ich zehn Dollarscheine vom Boden aufheben.
»Haben Sie das fallen lassen?«
»Das gehört mir nicht«, sagte er, ging ins Haus und knallte mir die Tür vor der Nase zu. Er wird einen fantastischen Millionär abgeben, dachte ich, als sei es mir wichtig, dass meine Millionäre (ich betrachtete sie als solche) grundehrlich waren.
Der zweite Millionär aus Sydney war eine Biologielehrerin. Sie hatte wohl das hässlichste Gesicht, das ich je gesehen hatte. Bei ihrem Anblick kamen mir die Tränen, und ich spürte den Luftzug von tausend Türen, die vor dieser hässlichen Visage zugeschlagen wurden. Sie sah nicht, wie ich in ihre Klasse kam. Ich setzte mich in die letzte Reihe und grinste wie ein Irrer.
»Wer sind Sie?«, fragte sie, als sie mich endlich entdeckte.
»Wie lange unterrichten Sie hier schon, Mrs. Gravy?«
»Seit sechzehn Jahren.«
»Und haben Sie in dieser ganzen Zeit schon einmal ein Kind gezwungen, Kreide zu schlucken?« »Nein, niemals.«
»Ach, wirklich. Da haben die von der Schulaufsicht aber etwas anderes behauptet.«
»Das ist eine Lüge!«
»Um das herauszufinden, bin ich hier.«
»Sie sind überhaupt nicht von der Schulaufsicht.«
Mrs. Gravy kam auf mich zu und sah mich an, als sei ich eine Fata Morgana. Ich schaute, ob sie einen Ehering trug, sah nichts als nackte Fleischkeile. Ich stand auf und ging zur Tür.
Der Gedanke, dass Geld das Einzige im Himmel und auf Erden war, das Mrs. Gravy Freude bringen konnte, war für mich so deprimierend, dass ich den dritten Millionär aus Sydney beinahe gar nicht besucht hätte, aber da ich nun einmal nichts Besseres zu tun hatte, lehnte ich mich an die Schließfächer auf dem Schulflur, eine lange Reihe von vertikalen Särgen, und schlug die Akte auf.
Miss Caroline Potts, stand in den Unterlagen.
Ich erinnere mich nicht an viele Situationen, bei denen ich so laut nach Luft schnappte wie ein Schauspieler, aber andererseits haben es Fiktionen ja an sich, die reale Welt unecht aussehen zu lassen. Menschen schnappen nach Luft. Das ist nicht gelogen. Und ich japste, als ich diesen Namen sah, mit all seinen Konnotationen und Implikationen. Konnotationen: Der Tod meines Bruders. Frustrierte Begierde. Erlöste Sehnsucht. Verlust. Reue. Pech. Versäumte Gelegenheiten. Implikationen: Sie hatte sich von ihrem russischen Ehemann scheiden lassen oder war verwitwet. Sie war nicht irgendwo in Europa verschollen. Sie hatte in Sydney gelebt, vielleicht schon seit Jahren!
Gütiger Himmel!
Diese Gedanken kamen nicht geordnet, sondern stürmten alle zugleich auf mich ein - ich konnte nicht ausmachen, wo der eine aufhörte und der andere
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