Vatermord und andere Familienvergnuegen
begann. Sie redeten alle durcheinander, wie eine große Familie am Abendbrottisch. Natürlich sagte mir mein Verstand, dass bis zu zwanzig oder dreißig Caroline Potts' nur wenige Minuten voneinander entfernt leben konnten, weil das kein so ausgefallener Name ist wie Prudence Bloodhungry oder Heavenly Shovelbottom. Hatte Eddie gedacht, es sei eine der anderen Caroline Potts? Ich weigerte mich zu glauben, dass es eine andere war, denn in Krisensituationen findet man heraus, woran man wirklich glaubt, und wie sich zeigte, glaubte ich doch an etwas, und zwar daran, dass ich ein Wollknäuel war, mit dem eine Katzenpfote spielte. Wie konnte es anders sein? Geh!, schrie eine Stimme. Geh!
Im Taxi las ich die Unterlagen sicher ein Dutzend Mal. Eddie war nicht besonders gründlich gewesen. Alles, was da stand, war: Caroline Potts, vierundvierzig, Bibliothekarin. Mutter von Terrence Beletsky, sechzehn. Mutter! Und der Name ihres Sohnes: Terrence. Terry. So ein Mist! Das nahm mir den Wind aus den Segeln. Sie hatte ihren Sohn nach Terry benannt. Als gäbe es nicht schon genug Elogen auf dieses Arschloch!
Nicht zu glauben!
Caroline lebte in einem dieser Gebäude, die keine Gegensprechanlage hatten, also konnte man unbehelligt das kackbraune Treppenhaus hochgehen, bis direkt vor die Wohnungstür. Ich erreichte Apartment 4A, ohne allzu viel darüber nachgedacht zu haben, was der größere Schock sein würde: mich zu sehen oder zu erfahren, dass sie in weniger als einer Woche eine Million Dollars reicher sein würde. Ich klopfte ungeduldig, und sofort verfielen wir wieder in unser altes Schema, uns gereizt anzuschreien.
»Wer ist da?«
»Ich!«
»Wer, ich?«
»Wenn ich's dir sage, wirst du es nicht glauben!«
»Marty!«, kreischte sie, und das brachte mich aus dem Gleichgewicht, dass sie nach all den Jahren meine Stimme so schnell erkannte.
Sie öffnete die Tür, und ich schnappte wieder nach Luft. Die Natur hatte sie kaum angetastet. Dann sah ich, dass das nicht ganz stimmte - die Natur hatte ihr einen größeren Hintern und längere Brüste verschafft, ihr Gesicht war etwas breiter, und man konnte auch nicht sagen, dass sie das Haar vorteilhaft trug, aber sie war immer noch schön, und in ihren Augen strahlte noch dasselbe Licht. Als sie vor mir stand, kam es mir vor, als hätte es die ganzen vielen Jahre seit Paris nicht gegeben, als wären die vergangenen achtzehn Jahre nicht mehr gewesen als ein absurd langer Nachmittag.
»O mein Gott, sieh dich an!«, rief sie.
»Ich bin alt!«
»Überhaupt nicht. Du hast noch dasselbe Gesicht!«
»Nein, hab ich nicht!«
»Warte. Du hast recht! Dein Ohr ist neu!«
»Ich hatte ein paar Transplantationen!«
»Wundervoll!«
»Und mir fallen die Haare aus!« »Tja, ich hab einen fetten Arsch!« »Du bist immer noch wunderschön!« »Und das sagst du nicht nur so?« »Nein!«
»Ich hab deinen Namen in der Zeitung gelesen!« »Warum hast du mich nicht besucht?«
»Wollte ich ja! Aber nach all den Jahren war ich mir nicht sicher, ob du mich sehen wolltest! Außerdem habe ich ein Foto von dir gesehen, auf dem eine Frau dich umarmt, und sie war jung und schön!«
»Das ist Anouk!«
»Nicht deine Frau?«
»Noch nicht mal meine Freundin. Sie ist unsere Haushälterin! Was ist mit deinem Mann?«
»Wir sind geschieden. Ich habe einfach angenommen, du wärst noch in Europa!«
»Ich dachte dasselbe von dir!«
»Und he - wir hätten uns doch im Jahr darauf, in genau dieser Nacht, im Hotel in Paris treffen sollen! Weißt du noch?« »Ich war hier! In Australien! Sag bloß, du warst da?« »Doch, war ich tatsächlich!« »O mein Gott!«
»Ich konnte es nicht glauben, als ich Terrys Namen sah! Er ist wieder im Gespräch! Und dann habe ich gesehen, dass du es warst! Was ist das für ein Unsinn, in den du da verwickelt bist?«
»Das ist kein Unsinn!«
»Du willst jeden Menschen in Australien zum Millionär machen?«
»Du hast recht - das ist Unsinn!«
»Wie bist du nur auf so etwas Albernes gekommen?« »Ich weiß nicht!«, rief ich. »Warte! Du bist eine davon!« »Martin!«
»Das ist mein Ernst! Darum bin ich hier!« »Du hast das manipuliert!«
»Nein, hab ich nicht! Ich hab die Namen nicht ausgesucht!«
»Bist du sicher?«
»Absolut!«
»Was fange ich mit einer Million Dollars an?« »Warte! Hier in meinen Unterlagen steht, du hast einen Sohn! Wo ist er?«
»Er ist tot.« Die drei Worte, die ihrem Mund entschlüpften, klangen, als kämen sie von ganz woandersher. Sie biss
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