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Vatermord und andere Familienvergnuegen

Vatermord und andere Familienvergnuegen

Titel: Vatermord und andere Familienvergnuegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Toltz
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raus. Ich fragte nach der Eheberatung, nach Penisimplantaten, Haartransplantaten, schönheitschirurgischen Eingriffen, einen nach seinem Bruder, den er ums gemeinsame Erbe betrogen hatte, sieben nach ihrer Kokainabhängigkeit und einen nach seiner Frau, die er verlassen hatte, unmittelbar nachdem bei ihr Brustkrebs diagnostiziert worden war. Indem ich sie einen nach dem anderen demütigte, machte ich aus der hier versammelten Menge wieder Individuen. Darauf waren sie nicht vorbereitet, sie schwitzten und wanden sich im grellen Licht der eigenen Scheinwerfer.
    »Haben Sie Ihrem Psychiater nicht letzte Woche erst erzählt, Sie würden gerne mal eine Frau vergewaltigen? Ich hab den Tonbandmitschnitt zufällig hier«, sagte ich und klopfte auf meine Aktentasche. Was waren schon ein paar Verleumdungsklagen und Anzeigen wegen Verletzung der Persönlichkeitsrechte, wenn man wegen schweren Betrugs dran war? »Und Sie da, Clarence Jennings von 2CI. Ich habe von einem ganz bestimmten Friseur erfahren, dass Sie nur dann gern mit Ihrer Frau schlafen, wenn sie ihre Tage hat. Wie kommt das denn? Na los, raus damit! Die Öffentlichkeit hat das Recht auf eine Antwort!«
    Permanent wurden Kameras und Mikrofone geschwenkt und gegengeschwenkt. Sie hätten sie zwar gerne abgeschaltet, aber als Journalisten konnten sie sich diese Knüller nicht entgehen lassen, wenn die Konkurrenz direkt danebenstand. Sie wussten nicht, was sie tun oder wie sie reagieren sollten. Es war das blanke Chaos! Eine Liveübertragung kann man nicht löschen, ihre Geheimnisse tröpfelten aus Radios und Fernsehern im ganzen Land, und sie wussten das. Sie bezichtigten sich aus Gewohnheit gegenseitig, aber jetzt richtete sich der verhasste Scheinwerfer auf sie selbst. Sie starrten mich und einander an, ungläubig, dem Spott preisgegeben, wie senkrecht hingestellte abgenagte Knochen. Einer zog sich Jackett und Krawatte aus. Ein anderer schluchzte. Die Mehrzahl hatte ein erstarrtes, ängstliches Grinsen im Gesicht. Sie wagten nicht, sich zu rühren. Mit runtergelassenen Hosen erwischt! Endlich! Diese Typen hatten sich schon zu lange im Ruhm jener Personen gesonnt, über die sie berichteten, und sich selbst wie Stars geriert, waren aber zugleich der Fehleinschätzung erlegen, dass ihr Privatleben immer noch ihnen gehörte. Tja, damit war es vorbei. Sie waren in die Moralfallen getappt, die sie selbst aufgestellt hatten. Von den eigenen grausamen Brandeisen gezeichnet.
    Ich zwinkerte ihnen höhnisch zu, um ihnen zu zeigen, wie viel Freude es mir gemacht hatte, in ihre geschützte Privatsphäre einzudringen. Angst schnürte ihnen die Kehle zu - sie standen da wie versteinert. Es war herrlich zuzusehen, wie nach dem Hochmut reihenweise der Fall kam.
    »Jetzt geht nach Hause«, sagte ich, und sie folgten mir aufs Wort. Sie gingen, um sich zu verkriechen und ihren Kummer in Bier zu ertränken. Ich blieb allein zurück, und die Stille sagte das, was sie immer sagte.
    An jenem Abend feierte ich allein zu Hause. Caroline war zwar da, aber nicht bereit, zur Feier meines Sieges auch nur ein einziges Champagnerbläschen zu inhalieren.
    »Das war kindisch«, erklärte sie, während sie am Kühlschrank stand und Eiscreme aus dem Karton schleckte. Sie hatte natürlich recht. Dennoch war es ein erhebendes Gefühl. Wie sich gezeigt hatte, war Rachsucht das einzige Sinnen und Trachten, das ich heil aus meiner Kindheit hatte herüberretten können, und die Befriedigung, die sie verschaffte, wie kindisch auch immer, verlangte nach wenigstens einem Glas Moet & Chandon. Aber zugleich dämmerte mir die grausige Konsequenz meiner Tat: Sie würden schon bald mit doppelter Stärke zurückschlagen. Ich musste hier und jetzt die Entscheidung zwischen Gefängnis und Selbstmord treffen, und diesmal würde ich mich vermutlich wirklich umbringen müssen. Ich konnte nicht ins Gefängnis gehen. Ich habe einen Horror vor Uniformen aller Art und den meisten Formen des Analverkehrs. Also Selbstmord. Ich hatte meinen Sohn erwachsen werden sehen, wie es den Konventionen unserer Gesellschaft entspricht, und mein Tod würde damit zwar traurig, aber nicht tragisch sein. Eltern dürfen auf dem Sterbebett beklagen, dass sie ihre Kinder nun nicht mehr aufwachsen sehen, aber nicht, dass sie sie nicht mehr alt werden sehen. Scheiß drauf - vielleicht wollte ich ja zusehen, wie mein Sohn grau und runzlig wurde, selbst wenn ich das durch die raureifbeschlagene Scheibe eines kryogenen Tiefschlaftanks beobachten

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