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Vatermord und andere Familienvergnuegen

Vatermord und andere Familienvergnuegen

Titel: Vatermord und andere Familienvergnuegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Toltz
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Familie zusammenhält...«, sagte er, ohne den Satz zu beenden. Vielleicht dachte er, ich würde das für ihn tun. Aber wie? Ich habe keine blasse Ahnung, was passiert, wenn die Familie zusammenhält.
     
    Es war der vielleicht traurigste Augenblick meines Lebens, als ich von Anouk Abschied nehmen musste. Es war schrecklich, ihr nicht sagen zu können, wir würden uns bald wiedersehen oder zumindest irgendwann. Es gab kein Bald und kein Irgendwann. Hier war Schluss. Es wurde immer dunkler. Die Sonne ging im Nu unter. Alles lief schneller. Die Luft knisterte. Oscar vergaß keine Sekunde lang, dass er ein Risiko eingegangen war, hierherzukommen: Er trommelte zunehmend hektischer mit den Fingern auf seinen Oberschenkel. Der Sand rann rasend schnell durchs Stundenglas. Anouk war völlig aufgelöst. Wir umarmten uns nicht, es war eher ein Aneinanderkrallen. Erst im Moment des Abschieds wird einem die Funktion eines Menschen klar: Anouk war dazu da gewesen, mir das Leben zu retten, und das hatte sie getan, mehr als einmal.
    »Ich weiß nicht, was ich sagen soll«, sagte sie, und ich wusste nicht mal, wie ich genau dies sagen sollte. Ich drückte sie nur noch etwas fester, während Oscar sich etwa ein Dutzend Mal räusperte. Dann gingen sie.
    Jetzt habe ich gepackt und warte. Das Flugzeug startet in ungefähr vier Stunden. Caroline ruft nach mir. Allerdings nennt sie mich aus irgendeinem Grund Eddie. Eddie antwortet ihr. Sie reden gar nicht mit mir.
    Ich denke, ich lasse dieses Manuskript am besten in einem Karton hier in der Wohnung, vielleicht wird es ja irgendwann entdeckt, und jemand ist so schlau, es posthum zu veröffentlichen. Vielleicht kann ich so noch aus dem Grab heraus das Bild ein wenig schönen. Die Medien und die Öffentlichkeit werden unsere Flucht mit Sicherheit als Beweis für unsere Schuld auffassen - sie verstehen zu wenig von der menschlichen Psyche, um zu erkennen, dass Flucht nur ein Beweis von Angst ist.
    Und nun müssen wir auf unserer Fahrt zum Flughafen noch bei Jasper vorbeischauen und ihm ebenfalls Lebewohl sagen. Wie soll ich Lebewohl zu meinem Sohn sagen? Es war schon schwer genug, als er von zu Hause ausgezogen ist, aber welche Worte können ein Lebewohl ausdrücken, das besagt: Ich werde den Rest meines Lebens als Horace Flint in einer Brutstätte von miesen Kriminellen in Thailand verbringen? Vielleicht kann ich ihn mit der Erklärung trösten, dass sein Vater, Martin Dean, niemals auszulöschen ist, dass lediglich ein gewisser Horace Flint auf irgendeinem sumpfigen Friedhof in Thailand sein Grab finden wird. Das müsste ihn eigentlich aufmuntern. Okay.
    Jetzt ruft Caroline tatsächlich nach mir. Wir müssen los. Dieser Satz, den ich hier gerade schreibe, wird der letzte sein.
     

TEIL SECHS

I
    Warum nur, warum bin ich mit abgehauen? Warum war ich nach allem, was zwischen mir und meinem Vater vorgefallen war, trotzdem bereit, sein Los zu teilen? Weil ich ein pflichtbewusster Sohn bin? Wer weiß? Ich liebte meinen Vater, wenn auch nicht von ganzem Herzen. Ist das Grund genug? Loyalität hin oder her - der Mann hat immerhin mein Leben zerstört. Das sollte mir eigentlich das Recht geben, ihn ohne mich in die Wildnis ziehen zu lassen. Er hatte sich auf unverzeihliche Weise in meine Beziehung eingemischt. Okay, es war nicht seine Schuld, dass ich in ein Mädchen verliebt war, das kein Mädchen, sondern ein brennender Wolkenkratzer war. Und es war auch nicht seine Schuld, dass sie sich für einen anderen Mann entschied und nicht für mich. Ich hatte ihm nichts vorzuwerfen, es war meine eigene Schuld, und peinlich war es auch. Es war nicht Dads Fehler, dass ich ihre Zuneigung nicht erzwingen konnte und mir kein Angebot einfiel, das sie nicht ausschlagen konnte. Also schlug sie mich aus. War es die Schuld meines Vaters, dass dieser brennende Wolkenkratzer seinen gescheiterten Exfreund liebte und uns auf dem Altar dieser Liebe opferte? Nein. Aber ich gab ihm trotzdem die Schuld. Das ist das Großartige an Schuld: Sie lässt sich dorthin schieben, wo man sie haben will.
    Dass Eddie diese Millionäre reingelegt und Dad in die Scheiße hineingeritten hatte, war ein so dreister Vertrauensmissbrauch, dass ich meiner Freundin unbedingt davon erzählen musste, bevor es publik wurde, auch wenn sie genau genommen gar nicht meine Freundin war. Vielleicht war es nur ein guter Vorwand gewesen, sie zu besuchen - das Ausplaudern von Familiengeheimnissen. Und ich brauchte einen Vorwand. Das Inferno hatte mich

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