Vatermord und andere Familienvergnuegen
Eddie besänftigte ihn mit einem Kopfnicken. Enttäuscht zog sich die Wache in den Schatten zurück.
Offenkundig verfügte Eddie über ein Nicken, dem man sich nicht widersetzen konnte. Das war neu für uns. Wir gingen wie betäubt den Flur hinunter, auf die hölzerne Tür zu, und schauten uns dabei weitere Fotos an. Mir war bisher noch nie aufgefallen, wie sehr Dad an einen Hund erinnerte, den man gegen seinen Willen in einen Swimmingpool schubst. Und ich? Meine Identität schien plötzlich nicht mehr so gefestigt. Es war mir fast nicht möglich, mich in Bezug zu dieser Bildergeschichte unseres Lebens zu setzen. Wir sahen aus wie die ramponierten Relikte einer untergegangenen Kultur. Wir sahen völlig rätselhaft aus.
Und dann meine Mutter! Das Herz wollte mir zerspringen, als ich sie ansah! Auf allen Aufnahmen wirkte sie stumm und reglos; alles Wichtige spielte sich hinter diesen Augen ab; es waren Augen, die aussahen, als wären sie aus fernsten Erdenwinkeln zurückgekommen, bloß um einem mitzuteilen, dass es sich nicht lohnt, dorthin zu fahren. Ihr Lächeln, eine Treppe ins Nichts. Halb verdeckt vom Bilderrahmen, ihre traurige Schönheit; den Kopf in die Hände gestützt, blickte sie mit sich verdüsternden Augen müde vor sich hin. Vielleicht war es Zufall, aber mit jedem neuen Bild schien sie sich von der Kamera weiter zu entfernen, als würde sie dahinschwinden. Diese Bilder flößten mir einen neu entdeckten Respekt für Dad ein - sie wirkte wie eine abweisende, imposante Frau, mit der kein vernünftiger Mensch eine Beziehung eingehen würde. Ich nahm ein Foto von ihr von der Wand und brach es aus dem Rahmen. Es war schwarzweiß, aufgenommen in einem Waschsalon. Meine Mutter saß mit baumelnden Beinen auf einer Waschmaschine und blickte mit ihren verblüffend großen Augen direkt in die Kamera. Plötzlich wusste ich, dass diese mysteriösen Vorgänge hier etwas mit ihr zu tun haben mussten - hier würde ich den ersten Hinweis darauf erhalten, wer sie war, woher sie stammte. Mir war klar: Das Rätsel um meine Mutter würde hinter jener Tür dort gelöst werden.
Dad öffnete sie, und ich folgte ihm.
VI
Wir betraten einen großen quadratischen Raum mit derart vielen Bodenkissen, dass ein Teil von mir sich sofort hinfläzen und mit Weintrauben füttern lassen wollte. Große Zimmerfarne vermittelten einem das Gefühl, wieder im Freien zu sein. Die Wände reichten nicht ganz bis zur Decke, und durch den freien Spalt strömte Sonnenlicht herein; die gegenüberliegende Wand hingegen bestand zur Gänze aus Glas, mit Blick auf den überwucherten Buddha im Garten. Dort an der Glaswand stand ein Mann mit dem Rücken zu uns und betrachtete den Buddha. Beide waren von gleicher Statur. Im grellen Licht, das durch das Fenster drang, konnten wir nur die gigantische Silhouette des Mannes erkennen. Zumindest hielt ich das, was ich sah, für einen Mann, nur größer eben.
»Mr. Lung«, sagte Eddie, »darf ich Ihnen Martin und Jasper Dean vorstellen. Und Caroline Potts.«
Der Mann drehte sich um. Er war kein Thai, kein Chinese, gar kein Asiat. Er hatte blondes, zotteliges Haar und einen struppigen Bart, der seine teigige, unreine Haut bedeckte. Er trug Shorts, ein Hemd aus Baumwollflanell mit abgeschnittenen Ärmeln und sah aus wie ein Forschungsreisender, der erst kürzlich aus der Wildnis heimgekehrt war und sich an den ersten Segnungen der Zivilisation erfreute. Diese Beschreibung ist natürlich völlig unzutreffend, weil sie den Elefanten im Zimmer ignoriert, denn das war der Mann in erster Linie, ein Elefant, der fetteste Kerl, den ich je gesehen hatte oder je sehen würde, eine verblüffende Laune der Natur. Entweder litt er an einer Hormonstörung, oder er musste über Jahrzehnte hinweg ungeheure Mengen verschlungen haben mit dem erklärten Ziel, der fetteste Mensch der Welt zu werden. Seine Figur erschien mir völlig surreal - seine Hässlichkeit war erdrückend. Mit einer Kugel würde ich diese Monstrosität genauso wenig töten können, wie ich einem Berg durch zartes Anklopfen eine Delle verpassen könnte.
Er starrte uns unverwandt an, selbst als er seine Zigarette ausdrückte und sich eine neue ansteckte. Offenkundig wollte er uns mit seinem Blick bezwingen. Es funktionierte. Ich fühlte mich sowohl überaus unterwürfig als auch ungemein klein. Ich schaute Dad an, ob er sich auch unterwürfig fühlte. Tat er nicht. Er starrte den fetten Mann mit zusammengekniffenen Augen an, als wäre der eines dieser
Weitere Kostenlose Bücher