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Vatermord und andere Familienvergnuegen

Vatermord und andere Familienvergnuegen

Titel: Vatermord und andere Familienvergnuegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Toltz
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optischen Rätsel, die ein verborgenes Bild enthüllen.
    Dad sprach als Erster, als würde er im Schlaf reden. »Heilige Scheiße«, sagte er, und da wusste ich es plötzlich.
    Caroline sprach es aus, bevor ein anderer es aussprechen konnte. »Terry«, sagte sie.
    Terry Dean, mein Onkel, blickte von einem zum anderen und brach in das breiteste Grinsen aus, das ich je gesehen hatte.
     

VII
    »Überrascht? Natürlich seid ihr überrascht!«, rief er lachend. Seine schallende, dröhnende Stimme klang, als dringe sie aus einer tiefen Höhle. Er hinkte auf uns zu. »Ihr solltet mal sehen, was für Gesichter ihr macht. Im Ernst. Soll ich einen Spiegel holen? Nein? Was ist los, Marty? Stehst du unter Schock? Verständlich, nur zu verständlich. Jetzt warten wir einfach mal, bis sich der Schock legt und Wut und Groll Platz macht. Ich erwarte nicht, dass einer von euch das so einfach schluckt. Das ist nichts, worüber man spontan lacht, aber später bestimmt, wenn ihr alles erst mal verdaut habt. Keine Angst - das wird schon. Ein paar Tage, und ihr werdet euch nur noch mit Mühe an einen Tag erinnern, an dem ich nicht unter den Lebenden weilte. Aber sag mal, hast du was geahnt? Ein klein bisschen? Was rede ich bloß? Hier stehst du und siehst nach so vielen Jahren deinen tot geglaubten Bruder wieder, und der besitzt nicht nur die Frechheit, quicklebendig zu sein, er bietet dir nicht mal ein Bier an! Eddie, hol uns ein paar Biere, bist du so nett? Und Jasper! Dich wollte ich schon so lange mal kennenlernen. Weißt du, wer ich bin?« Ich nickte.
    »Mein Neffe! Du hast die Nase deiner Großmutter, hat dein Dad dir das je gesagt? Ich freu mich so, dich zu sehen. Eddie hat mir alles über dich erzählt. Du musst so was wie ein Fels sein, dass du mit deinem Dad zusammenleben kannst, ohne in tausend Scherben zu zerspringen. Aber du siehst aus, als hättest du dich prächtig entwickelt. Du siehst so normal, gesund und vernünftig aus. Wie kommt es, dass du nicht verrückt geworden bist? Es ist verrückt, dass du nicht verrückt bist! Aber vielleicht bist du es ja. Ich freue mich schon drauf, das herauszufinden. Und Caroline! Ich muss zugeben, dich wiederzusehen ist schon ein kleiner Schock. Eddie hat mir natürlich erzählt, dass ihr geheiratet habt...«
    Terry starrte sie lange an, riss den Blick dann wieder von ihr los.
    »Ich weiß, ihr seid jetzt alle etwas überrumpelt. Trinkt euer Bier, dann fühlt ihr euch besser. Ich warte, bis ihr euch beruhigt habt. Wir haben Zeit. Mann, wenns etwas gibt, das wir alle haben, dann Zeit. Marty, mir wird ja ganz unheimlich zumute bei deinem Blick. Bei deinem auch, Caroline. Aber von deinem nicht, Jasper, was? Vielleicht, weil du noch jung bist. Wenn man älter ist, überrascht es einen doch sehr, dass man sich noch überraschen lassen kann. Ich frage mich, was wohl die größere Überraschung ist: dass ich wie durch ein Wunder noch am Leben bin oder dass ich wie durch ein Wunder so fett geworden bin? Ihr dürft das ruhig sagen - das macht mir nichts aus. Mir gefällt es, fett zu sein. Fett wie Heinrich VIII. Fett wie der Buddha. Klären wir das gleich, damit ihr nicht darüberstolpert. Ich bin eine fette Sau. Ich zieh mal mein Hemd aus, damit ihr es richtig sehen könnt. Seht ihr? Okay. Ich bin ein Wal. Mein Bauch ist gnadenlos und unbesiegbar!«
    Es stimmte. Er war so gigantisch, dass man den Eindruck hatte, er wäre unzerstörbar und in der Lage, eine jede Katastrophe zu überleben. Der Zoo von Tiertattoos, den Dad mir vor Jahren beschrieben hatte, war zu formlosen Farbwirbeln zerstoben.
    Dad stand stocksteif da. Es sah aus, als wollte er etwas sagen, aber seine Zunge spielte nicht mit. »Lebt... fett«, war alles, was er rausbekam.
    Allmählich merkte ich, dass Terry selbst verwirrt war. Er wusste nicht, wohin er den Blick wenden sollte. Hin und wieder sah er mich suchend an, vielleicht seine beste Chance sofort akzeptiert und geliebt zu werden. Aber die bekam er nicht, denn trotz der unglaublichen Neuigkeit, dass ein derart zur Legende gewordenes Familienmitglied lebendig und putzmunter war, empfand ich doch in erster Linie Enttäuschung darüber, dass dies alles überhaupt nichts mit meiner Mutter zu tun hatte.
    »Will mich denn keiner umarmen?«
    Niemand rührte sich.
    »Und wer ist Tim Lung?«, fragte Dad schließlich. »Tim Lung existiert nicht. Genauso wenig wie übrigens Pradit Banthadthan oder Tanakorn Krirkkiat.« »Was redest du da?«
    »Ich hab's hingekriegt, Marty.

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