Vatermord und andere Familienvergnuegen
wie es schien, auch wenn keine Hühner mehr drin waren. Aber überall lagen Hühnerfedern herum und ein paar uralte zerbrochene Eierschalen. Auf dem Boden lag ein halb fertiges Bild von einem Paar Nieren; Eddies Vater war offenbar auf die Idee verfallen, Eigelb zu benutzen, um den richtigen Gelbton hinzubekommen.
Ich nahm mir einen Pinsel. Die Borsten waren verkrustet von eingetrockneter Farbe und steif wie Holz. Vor dem Hühnerstall stand ein Trog mit schlammigem Regenwasser, das so aussah, als wäre es so vom Himmel herabgefallen, braun und fade. Ich spülte den Pinsel gründlich aus und fuhr mit den Fingern über die Borsten. Dabei sah ich, wie Caroline aus dem Haus kam. Sie lief den Hügel hinunter, hielt aber alle paar Schritte inne und blieb reglos stehen, bevor sie dann weitereilte, als sei sie zu spät dran zu einer Verabredung, vor der sie sich fürchtete. Ich sah ihr so lange nach, bis sie im Dschungel verschwand.
Ich ging wieder in den Hühnerstall, öffnete einen Topf mit Farbe, tauchte den Pinsel hinein und machte mich über eine Leinwand her. Ich ließ meinen Pinsel ziellos über sie wandern, um zu sehen, was er malen wollte. Er schien es mit Augen zu haben. Leere Augen, Augen wie saftige Pflaumen, Augen wie Mikroben unter einem Mikroskop, Augen in Augen, konzentrische Augen, sich überschneidende Augen. Die ganze Leinwand war mit Augen bedeckt. Ich musste wegschauen; all diese gemalten Augen bohrten sich auf beunruhigende Weise in mich hinein: Sie schienen irgendetwas in mir zu bewegen. Ich brauchte noch eine Minute, um dahinterzukommen, dass es die Augen meines Vaters waren. Kein Wunder, dass sie mich krank machten.
Ich stellte die Leinwand weg und nahm mir eine andere. Und von Neuem begann der Pinsel darüberzuhuschen. Dieses Mal entschied er sich für ein ganzes Gesicht. Ein eingebildetes, selbstgefälliges Gesicht mit großen, spöttischen Augen, einem struppigen Schnurrbart, einem verächtlich verzogenen Mund und gelben Zähnen. Das Gesicht eines weißen Sklavenhalters oder eines Gefängnisaufsehers. Ich starrte das Bild an und verspürte Angst, aber ich kam nicht dahinter, warum. Es war, als hätte sich ein Faden in meinem Gehirn gelöst, aber ich traute mich nicht, daran zu ziehen, aus Furcht, mein ganzes Leben könnte aufgetrennt werden. Dann begriff ich es: Das Gemälde - es zeigte das Gesicht. Das Gesicht, von dem ich in meiner Kindheit geträumt hatte. Das unauslöschliche, dahinschwebende Gesicht, das mich schon mein ganzes Leben verfolgt hat. Beim Malen konnte ich mich an Details erinnern, die mir zuvor gar nicht bewusst gewesen waren: die Tränensäcke unter den Augen, eine schmale Lücke zwischen den Schneidezähnen, Falten in den Winkeln des lächelnden Mundes. Ich hatte ja geahnt, dass dieses Gesicht eines Tages vom Himmel herabkommen würde, um mir eine Kopfnuss zu verpassen. Plötzlich fand ich die Hitze im Stall unerträglich. Diese Schwüle, das arrogante Gesicht und die tausend Augen meines Vaters - all das schnürte mir die Kehle zu.
An jenem Nachmittag lag ich auf dem Bett und lauschte dem Regen. Ich fühlte mich so, als wäre mir der Boden unter den Füßen weggezogen worden. Mit meinem gefälschten Pass konnte ich wahrscheinlich nie wieder nach Australien zurückkehren. Das machte mich zum Heimatlosen. Und schlimmer noch: Den falschen Namen in meinem Pass mochte ich so wenig, dass er mich buchstäblich krank machte. Wenn ich nicht einen anderen falschen Pass auftreiben konnte, würde ich bis ans Ende meiner Tage Kasper sein.
Ich blieb den ganzen Nachmittag über im Bett. Was Eddie gesagt hatte, ging mir nicht aus dem Kopf, seine Vermutung, dass ich dabei war, mich in meinen Vater zu verwandeln. »Wenn du ihn manchmal nicht ausstehen kannst, dann deswegen, weil du dich selbst nicht ausstehen kannst. Du glaubst, du wärst so ganz anders als er. Das ist es, was du an dir selbst nicht erkennst. Das ist dein blinder Fleck, Jasper.« Konnte das sein? Deckte sich das nicht mit Dads alter Idee, dass ich in Wirklichkeit die vorzeitige Wiedergeburt seiner selbst sei? Und gab es nicht vielleicht bereits erschreckende Anzeichen dafür? War ich nicht, seit Dad wieder zu sterben begonnen hatte, physisch immer kräftiger geworden? Wir saßen auf einer Art Wippe - ging's mit ihm abwärts, ging's mit mir aufwärts.
Jemand klopfte an meine Tür. Es war Caroline. Sie war in den Regen geraten und von Kopf bis Fuß durchnässt.
»Jasper - du möchtest doch nicht, dass dein Vater stirbt,
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