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Vatermord und andere Familienvergnuegen

Vatermord und andere Familienvergnuegen

Titel: Vatermord und andere Familienvergnuegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Toltz
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während des Medizinstudiums gelernt hatte.
    »Es gibt so viele Dinge, die ich dir in diesen Jahren gern gesagt hätte, Jasper. Dinge, die ich aber nicht dir sagen konnte, weil sie meinem Auftrag widersprochen hätten.«
    »Zum Beispiel?«
    »Nun, wie du dir ja wahrscheinlich schon gedacht hast, hasse ich deinen Vater. Und dass die Menschen in Australien ihm seinen Schwachsinn auch nur eine Minute lang abgekauft haben, ist ein Offenbarungseid für das ganze Land und die Menschheit an sich.«
    »Vermutlich ja.«
    »Wie dem auch sei, die Sache ist die: Ich hasse deinen Vater. Nein, besser gesagt, er widert mich an.« »Das ist dein gutes Recht.«
    »Aber was du vielleicht nicht weißt, dich mag ich auch nicht besonders.«
    »Nein, das wusste ich nicht.«
    »Siehst du? Du fragst mich noch nicht mal, warum. Das ist es, was ich an dir nicht mag. Du bist eingebildet und herablassend. Tatsächlich bist du schon seit deinem fünften Lebensjahr eingebildet und herablassend.«
    »Und das ist auch mein gutes Recht.«
    Eddie grinste mich drohend an. Da er uns jetzt nicht mehr vorheuchelte, uns zu mögen, schien er über Nacht bösartig geworden zu sein.
    »Siehst du? Eingebildet und herablassend. Ich habe dich dein Leben lang beobachtet. Ich kenne dich wahrscheinlich besser, als du dich selbst kennst. Du bildest dir etwas darauf ein zu wissen, was andere Menschen denken. Aber dich selbst kennst du nicht, oder? Und weißt du, was du vor allem über dich selbst nicht weißt? Dass du das Abbild deines Vaters bist. Wenn er stirbt, wirst du an seine Stelle treten. Daran habe ich keinen Zweifel. Menschen können Gedanken erben - sie können sogar ganze Seelen erben. Glaubst du nicht?« »Eigentlich nicht.«
    »Als ich deinen Vater kennenlernte, war er nicht viel älter als du jetzt. Und weißt du, was ich in dir sehe? Genau den gleichen Menschen. Wenn du ihn manchmal nicht ausstehen kannst, dann deswegen, weil du dich selbst nicht ausstehen kannst. Du glaubst, du wärst so ganz anders als er. Das ist es, was du an dir selbst nicht erkennst. Ich bin sicher, jedes Mal, wenn du dich etwas sagen hörst, das wie ein Echo deines Vaters klingt, denkst du, das war bloß so eine Angewohnheit. Ist es nicht. Das ist er, tief in dir drin, und er wartet nur darauf, herauszukommen. Genau das ist dein blinder Fleck, Jasper.«
    Ich musste schlucken. Der blinde Fleck. Der verfluchte blinde Fleck. Jeder hat einen. Sogar die Genies. Selbst Freud und Nietzsche hatten kilometerbreite blinde Flecken, die sich letzten Endes als nachteilig für gewisse Aspekte ihres Schaffens erwiesen. Das also war meiner? Dass ich meinem Vater auf unerträgliche Weise glich, dass ich mich in ihn verwandelte, dass ich nicht nur sein asoziales Verhalten, sondern auch seine krankhafte Denkweise erben würde? Ich fürchtete schon, meine Depression damals in Australien könnte Ähnlichkeiten mit seiner Depression gehabt haben.
    Eddie setzte sich auf seinen Behandlungstisch und ließ die Beine baumeln.
    »Es tut so gut, mal frei heraus zu reden. Geheimnisse zu bewahren, ist anstrengend. Ich möchte dir gerne die Wahrheit erzählen, nicht nur über dich, auch darüber, was du, dein Vater und dein Onkel mir und meinem Leben angetan haben. Damit du Bescheid weißt. Es ist wichtig, dass du es weißt. Denn wenn ich es dir erzählt habe, wirst du verstehen, warum du die anderen davon überzeugen musst, sofort dieses Haus zu verlassen. Wie du das anstellst, ist mir egal, aber du musst sie dazu bringen, zu verschwinden. Bevor es zu spät ist.« »Zu spät für was?«
    »Hör einfach zu. Als Terry mir den Job anbot, auf deinen Dad aufzupassen, glaubte ich, so meiner Zukunft, die mir ungewiss erschien, entfliehen zu können. >Hilf ihnen, wenn sie Hilfe brauchen, pass auf, dass sie nicht in Schwierigkeiten geraten, und mach Fotos von ihnen, so viele Fotos wie nur möglich<, hatte Terry gesagt. Das war mein Auftrag. Schien nicht allzu schwierig zu sein. Wie hätte ich ahnen können, dass das mein Leben ruinieren würde? Ich war selbst schuld, das geb ich gerne zu. Ich habe einen Pakt mit dem Teufel geschlossen. Ist dir aufgefallen, dass der Teufel in der Literatur und im Film immer einen Sinn für Humor hat, Gott hingegen ist todernst? Ich glaube, in Wirklichkeit ist es genau umgekehrt, oder was glaubst du?«
    »Wahrscheinlich.«
    »Ich kann dir gar nicht sagen, wie oft ich alles hinschmeißen wollte. Aber euch zuzusehen war, als würde man einen Unfall in Zeitlupe verfolgen. Ich war so

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