Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vatermord und andere Familienvergnuegen

Vatermord und andere Familienvergnuegen

Titel: Vatermord und andere Familienvergnuegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Toltz
Vom Netzwerk:
oder?«
    »Na ja, ich hab keinen festen Termin im Kopf, aber ich möchte auch nicht, dass er ewig lebt. Daher würde ich sagen: Doch, ich möchte, dass er stirbt.«
    Sie kam näher und setzte sich auf die Kante meines Bettes. »Ich war im Dorf. Die Leute hier sind sehr abergläubisch, und das vielleicht nicht ohne Grund. Vielleicht gibt es noch Möglichkeiten, wie wir ihn heilen könnten.«
    »Du willst, dass er seine Verabredung mit dem Schicksal verpasst?«
    »Ich möchte, dass dein Vater sich mit dem hier am ganzen Körper einreibt.« Sie gab mir einen kleinen Topf mit einer klebrigen, milchigen Substanz.
    »Was ist das?«
    »Öl aus dem Fett, das aus dem Kinn einer Frau gewonnen wurde, die bei der Entbindung gestorben ist.«
    Ich schaute mir das Gefäß an. Ich konnte nicht erkennen, ob darin wirklich das war, was sie behauptete, und ich dachte auch nicht an die arme Frau, die bei der Entbindung gestorben war. Ich dachte an die Person, die das Fett aus ihrem Kinn gewonnen hatte.
    »Woher hast du das, und, noch wichtiger, was hast du dafür bezahlt?«
    »Ich hab das von einer alten Frau im Dorf. Sie sagt, das wäre hervorragend geeignet als Mittel gegen Krebs.« Gegen Krebs?
    »Und warum gibst du's ihm nicht?«
    »Dein Vater hört momentan nicht auf mich. Er will nicht, dass ich ihm helfe. Ich darf ihm nicht mal ein Glas Wasser geben. Du musst ihn dazu bringen, dass er sich selbst von Kopf bis Fuß mit diesem Öl einreibt.«
    »Wie soll ich ihn dazu bringen, sich mit dem Kinnfett einer Fremden einzureiben?«
    »Da musst du dir was einfallen lassen.«
    »Warum gerade ich?«
    »Weil du sein Sohn bist.«
    »Und du seine Frau.«
    »Zwischen uns läuft es grad nicht so gut«, sagte sie, ohne auf Details einzugehen. War auch nicht nötig - ich war vertraut mit der scharfkantigen Dreiecksbeziehung, die uns alle in Streifen zu schneiden drohte.
    Ich drückte mich eine Weile auf dem Flur herum und ging dann in Dads Zimmer. Er saß nach vorn gebeugt am Schreibtisch; er las nichts, schrieb auch nichts, er saß einfach nach vorn gebeugt da.
    »Dad«, sagte ich.
    Er ließ sich durch nichts anmerken, dass er mich wahrnahm. Überall im Zimmer standen Citronella-Kerzen herum. Er hatte ein Moskitonetz über dem Bett hängen und ein weiteres über dem Sessel in der Ecke.
    »Belästigen dich die Insekten?«, fragte ich.
    »Meinst du vielleicht, ich bitte sie rein wie alte Freunde?«, fragte er mich, ohne sich umzudrehen.
    »Ich mein ja bloß; ich hab nämlich zufällig ein Insektenmittel dabei.«
    »Ich hab schon eins.«
    »Meines ist ein ganz neues. Anscheinend benutzen es die Einheimischen.«
    Dad drehte sich zu mir um. Ich drückte ihm das Glas mit dem geschmolzenen Leichenfett in die Hand.
    »Man muss sich am ganzen Körper damit einreiben.«
    Dad schraubte den Deckel ab und roch am Inhalt. »Riecht komisch.«
    »Dad - findest du, dass wir uns ähnlich sind?«
    »In welcher Hinsicht - körperlich?«
    »Nein. Ich weiß auch nicht. Als Menschen.«
    »Das war dein schlimmster Albtraum, stimmt's?«
    »Ich habe noch ein oder zwei schlimmere.«
    Wir hörten ein Summen. Beide blickten wir uns um, konnten aber nicht entdecken, woher das Geräusch kam. Dad zog sein Hemd aus, schöpfte eine Handvoll von dem Leichenfett aus dem Glas und begann, sich Brust und Bauch damit einzuschmieren.
    »Willst du auch was?«
    »Danke, hab schon.«
    Mir wurde übel, als ich wieder an die Frau dachte, die bei der Entbindung gestorben war. Ich fragte mich, ob das Kind überlebt hatte und sich nicht vielleicht eines Tages darüber ärgern würde, dass es nicht selbst das Kinnfett seiner Mutter geerbt hatte.
    »Eddie ist ein völlig anderer Mensch, als wir angenommen hatten, was?«, sagte Dad, während er sich die Unterarme einschmierte.
    Ich war versucht, ihm von Eddies krankem Monolog und seinen Morddrohungen zu berichten, aber ich wollte meinem Vater nicht noch mehr Stress zumuten, sein Körper machte Stress genug.
    »Es hat dir trotzdem gut getan, einen richtigen Freund zu haben, auch wenn alles eine Lüge war.«
    »Ich weiß.«
    »Eddie war der Erste, der mir irgendetwas Brauchbares über Astrid erzählt hat.« »Tatsächlich?«
    »Er hat mich auf dein Pariser Tagebuch aufmerksam gemacht.« »Du hast es gelesen?«
    »Von vorne bis hinten.« »Hat es dich angewidert?« »Und wie.«
    »Tja, das ist die Strafe fürs Rumschnüffeln.«
    Während er dies sagte, zog er seine Sandalen aus und schmierte sich das Leichenfett zwischen die Zehen. Es

Weitere Kostenlose Bücher