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Vatermord und andere Familienvergnuegen

Vatermord und andere Familienvergnuegen

Titel: Vatermord und andere Familienvergnuegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Toltz
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behielt dabei den Mund geschlossen, sodass man die Zähne nicht sehen konnte. »Lass mich jetzt allein. Ich muss zu meinen Eltern beten.«
    Eddie verstreute ein paar Blüten in leuchtenden Farben auf dem Fußboden, kniete davor nieder und begann, etwas zu murmeln. Er betete jeden Tag für Erfolg, was nichts Gutes verhieß - wenn ein Arzt in Ihrer Nachbarschaft für gute Geschäfte betet, dann können Sie nur hoffen, dass seine Götter nicht zuhören.
    Auf dem Weg ins Bett steckte ich meinen Kopf in die Tür zu Terrys Zimmer. Obwohl ich geklopft und er »Herein« gesagt hatte, hatte er sich nicht die Mühe gemacht, sich etwas überzuziehen. Er stand nackt mitten im Zimmer.
    »He, Jasper! Was gibt's?«
    »Vergiss es. Gute Nacht.«
    Ich machte die Tür zu. Ich war gerade nicht in der Stimmung, mit einem fetten, nackten Mann zu sprechen. Aber andererseits war ich auch nicht in der Stimmung, mir im Schlaf die Kehle durchschneiden zu lassen. Ich machte die Tür wieder auf. Terry hatte sich nicht vom Fleck gerührt.
    »Mein Gott, kannst du nicht klopfen?«
    »Eddie ist verrückt geworden. Er droht, uns allen im Schlaf die Kehle aufzuschlitzen.«
    »Das ist aber nicht gerade gastfreundlich, was?«
    »Ich glaube nicht, dass er uns umbringen will, ich meine nur, dass Dad und ich ihn durch unsere bloße Anwesenheit in den Wahnsinn treiben.«
    »Und?«
    »Und sollten wir deshalb nicht lieber verschwinden?«
    »Vermutlich.«
    »Gut.«
    »Aber wir werden nicht gehen.« »Warum nicht?«
    Seine Augenbrauen hatten sich zusammengezogen, und sein Mund stand offen, als wolle er jeden Moment etwas sagen. »Terry. Alles in Ordnung?«
    »Natürlich. Ich bin etwas aufgewühlt, das ist alles. Ich bin das aber nicht gewöhnt. Verstehst du, ich war so lange von meiner Familie getrennt, dass es mir seltsam erscheint, euch hier zu haben. Ich erkenne mich gar nicht wieder. Ich fühle mich nicht mehr so... unbeschwert. Ich mache mir euretwegen Sorgen. Und ich habe mir schon seit ewiger Zeit nicht mehr um irgendwas oder irgendwen Sorgen gemacht.«
    »Und Caroline? Machst du dir auch Sorgen um Caroline?«
    Terrys Gesicht lief puterrot an. Dann nahmen seine Augen einen sehr merkwürdigen Ausdruck an. Ich kam mir vor, als stünde ich vor einem Haus, in dem jemand das Licht an- und ausmacht.
    »Du bist einer von der ganz intuitiven Sorte, Jasper. Was sagt dir deine Intuition denn jetzt? Meine sagt mir, dass in diesem Haus etwas geschehen wird. Ich bin nicht sicher, was. Es könnte etwas Gutes sein, doch das bezweifle ich. Es wird höchstwahrscheinlich etwas Schlechtes sein. Es könnte sogar etwas sehr Schlechtes sein. Und vielleicht sollten wir tatsächlich besser verschwinden, aber ich bin ein wahnsinnig neugieriger Mensch. Du nicht? Neugier ist eines meiner Lieblingsgefühle. Intensive Neugier ist wie einer dieser tantrischen Orgasmen, ein langer, aufreizender, hinausgezögerter Genuss. Genau das.«
    Ich sagte Gute Nacht, schloss die Tür und ließ ihn allein in seiner Nacktheit. Ich dachte an normale Familien, die normale Probleme haben wie Alkoholismus, Spielsucht, häusliche Gewalt und Drogen. Ich beneidete sie.
     
    Ich erwachte früh am Morgen. Meine Kehle war noch heil. Die Sonne brannte bereits um halb 7 herab. Von meinem Fenster aus konnte ich sehen, wie Nebel aus dem Dschungel aufstieg. Wir befanden uns auf großer Höhe, und der Nebel hüllte die Berggipfel ein. Ich hatte schlecht geschlafen und über all das nachgedacht, was Eddie gesagt hatte. Ich wusste, dass er recht hatte. Dad plante wirklich etwas, vielleicht auch nur unbewusst. Aber wusste ich nicht bereits, was? Ich hatte das Gefühl, ich wüsste es, könnte es nur nicht richtig zu fassen bekommen. Es war irgendwo in meinem Hirn verborgen, irgendwo weit weg im Dunkeln. Ja, plötzlich hatte ich das Gefühl, alles zu wissen, was in der Zukunft passieren würde, aber aus irgendeinem Grund hatte ich es vergessen. Mehr noch, ich dachte, jeder auf der Welt würde die Zukunft kennen, er hatte sie nur vergessen; und Wahrsager und Hellseher haben gar keine übernatürlichen Fähigkeiten, sondern einfach ein gutes Gedächtnis.
    Ich zog mich an und ging zur Hintertür hinaus, um niemandem zu begegnen.
    An der Rückseite des Hauses, am Rande des Dschungels, stand ein Schuppen. Ich ging hinein. Auf klapperigen Regalbrettern standen dort Farben und Pinsel. An einer Wand lehnten ein paar leere Leinwände. Hier hatte Eddies Vater also seine scheußlichen Bilder gemalt. Ein ehemaliger Hühnerstall,

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