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Vatermord und andere Familienvergnuegen

Vatermord und andere Familienvergnuegen

Titel: Vatermord und andere Familienvergnuegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Toltz
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drohend mit seiner Gabel vor mir herum wie ein Exzorzist mit seinem Kreuz.
    Glücklicherweise wurde er bald durch das Wiedererwachen seiner alten Leidenschaft für das Gefängnis auf dem Hügel abgelenkt. Er und der Gefängnisdirektor waren Saufkumpane; schon seit Jahren spielten sie jeden Abend Billard und wetteten dabei zum Spaß immer um hunderttausend Dollars pro Partie. Der Gefängnisdirektor schuldete meinem Vater eine astronomisch hohe, fiktive Summe. Eines Tages überraschte mein Vater seinen Freund damit, dass er ihn zur Begleichung der Spielschuld aufforderte, doch statt Geld zu verlangen, schloss er einen seltsamen, obskuren Handel mit ihm ab: Er wollte die siebenundzwanzig Millionen Dollars vergessen, die ihm zustanden, wenn ihm der Gefängnisdirektor dafür Kopien der Akten über seine Häftlinge bringen würde. Nun, da die Zukunft seines Sohnes in Trümmern lag, war das Einzige, worauf mein Vater noch stolz sein konnte, der Umstand, dass er mitgeholfen hatte, dieses Gefängnis zu bauen, eine solide Leistung, die er von der vorderen Veranda aus bewundern konnte. Und deshalb fand er, es sei sein gutes Recht zu wissen, wer dort einsaß. Der Direktor kopierte ihm die Akten, und fürderhin studierte mein Vater Abend für Abend die Fallgeschichten von Mördern, Vergewaltigern und Dieben und stellte sich vor, wie diese an den Gitterstäben rüttelten, die er höchstselbst geschmiedet hatte. Wenn du mich fragst, war das der Anfang vom Ende für meinen Vater, auch wenn noch ein unglaublich langer Niedergang folgen sollte. Damals begann er auch, in der Öffentlichkeit derart hysterisch auf meine Mutter einzureden, dass sie es nicht länger ertrug, sich außerhalb des Hauses mit ihm zu zeigen; sie tat es auch nie mehr, und wenn sie sich zufällig auf der Straße begegneten, was selten genug geschah, überkam beide eine große Verlegenheit, und sie waren geradezu gespenstisch höflich zueinander. Erst in den eigenen vier Wänden wurden sie wieder sie selbst - ihr Vorrat an Beleidigungen schien unerschöpflich.
    Auch in der Schule lief es eine Weile seltsam. Wie du weißt, hab ich da nie reingepasst; nicht einmal reinzwängen hätte ich mich können. Terry hingegen war auf der Stelle akzeptiert und willkommen geheißen worden, aber nun, da sein Bein für sportliche Aktivitäten untauglich geworden war, zwängte er sich hinaus. Ich hatte ein wachsames Auge auf ihn, während er über den Schulhof humpelte, die Spitze seines Gehstocks auf die Zehen seiner Klassenkameraden presste und dann sein ganzes Gewicht darauf verlagerte. Ich glaube ja, dass es nicht nur die eigene Enttäuschung war, die ihn hart und gemein machte. Es war auch eine Reaktion auf das ewige Mitgefühl, mit dem er fertig werden musste. Die Leute nötigten ihm ihre Anteilnahme auf, beschwerten ihn mit ihrem Wohlwollen und zergingen vor Mitleid. Das war für ihn das Schlimmste. Manche Menschen verabscheuen es aus tiefster Seele, ein Objekt des Mitleids zu sein. Andere, wie ich zum Beispiel, saugen es begierig auf, in erster Linie, weil sie sich selbst schon so lange bemitleidet haben, dass es für sie nur logisch ist, wenn die anderen endlich auch auf diesen Zug aufspringen.
    Bruno und Dave warfen Terry bedrohliche Blicke zu, wenn sich ihre Wege kreuzten. Terry war nicht zu beeindrucken und zeigte sein wölfischstes Lächeln. Es folgte ein Blickduell, eines dieser Männlichkeitsrituale, die auf andere immer ausgesprochen lächerlich wirken. Später, als ich Terry auf den Schulfluren hinterherging, merkte ich, dass er Bruno und Dave auf Schritt und Tritt verfolgte. Was wollte er von ihnen? Rache? Eine Revanche? Ich bat ihn dringend, sie in Ruhe zu lassen. »Verpiss dich, Marty!«, schnauzte er mich an.
    Ich kletterte wieder in den Baum. Nun verfrachtete ich mich selbst dorthin. Er war zu meinem geheimen Refugium geworden. Ich hatte eine nützliche Erfahrung gemacht: Die Leute gucken praktisch nie nach oben. Warum? Keiner weiß es. Vielleicht schauen sie in den Staub zu ihren Füßen, um einen Vorgeschmack auf kommende Attraktionen zu erhalten. Da tun sie gut daran. Ich finde, dass jeder, der behauptet, er habe die Zukunft im Blick, dabei aber nicht den Staub im Auge behält, kurzsichtig ist.
    Eines Tages bemerkte ich unter mir einen Tumult: Meine Mitschüler rannten wild auf dem Schulhof hin und her, in die Klassenzimmer rein und wieder raus und riefen irgendwas. Ich spitzte die Ohren auf diese merkwürdige Art, in der Menschen die Ohren spitzen können.

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