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Vatermord und andere Familienvergnuegen

Vatermord und andere Familienvergnuegen

Titel: Vatermord und andere Familienvergnuegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Toltz
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Terry Dean als Kind war. War er ein Außenseiter? Ein autoritätsfeindlicher, halsstarriger Kotzbrocken? Nein, der war ich.
    Als wir ankamen, führte uns der Klang von Kinderlachen durch das kühle, helle Haus in den weitläufigen, offenen Garten, wo alle Kinder vor einem Zauberkünstler saßen. Er war in einen prächtigen schwarz-goldenen Umhang gekleidet und führte alle möglichen billigen Tricks vor. Als er mit seinen Tauben fertig war, ging er herum und las den Kindern aus der Hand. Glaub mir, wenn du es nicht schon selber erlebt hast: Es gibt nichts Öderes als einen Wahrsager auf einer Kinderparty. »Du wirst groß und stark«, erklärte er zum Beispiel einmal, »aber nur, wenn du immer brav dein Gemüse isst.« Es war offenkundig, dass dieser Betrüger von den Eltern präpariert worden war und den Kindern falsche Prognosen auftischte. Auf einem Kindergeburtstag Lügen und Korruption zu erleben, ist alles andere als schön, aber leider keine Überraschung.
    Dann spielten wir Gib-das-Päckchen-rum, wobei man im Kreis sitzt und irgendein Tinnefgeschenk weiterreicht, das wie ein toter Fisch in eine Zeitung gewickelt ist, und jedes Mal, wenn die Musik abbricht, wickelt derjenige, der das Päckchen gerade in der Hand hat, eine Lage Papier ab. Es ist ein Spiel der Habgier und Ungeduld. Ich verursachte einen Tumult, als ich das Spiel unterbrach, um die Zeitung zu lesen. Eine Schlagzeile meldete ein Erdbeben in Somalia: siebenhundert Tote. Die Kinder schrien mich an, das Paket weiterzugeben, und ihre wüsten Beschimpfungen hallten in meinen Ohren wider. Ich kann dir sagen, Kinderspiele sind kein Vergnügen. Da darf man nicht herumalbern. Ich gab das Päckchen also dem nächsten Jungen, aber immer, wenn ein Bogen der Zeitung zu Boden fiel, hob ich ihn auf in der Hoffnung, mehr über dieses Erdbeben zu erfahren. Den anderen Kindern war der Tod von siebenhundert Mitmenschen gleichgültig, sie interessierte allein das Geschenk. Schließlich wurde es enthüllt: eine neongrüne Wasserpistole. Ihr Gewinner jubelte. Die Verlierer jubelten zähneknirschend mit.
    Die Novembersonne brachte uns alle ins Schwitzen, daher sprangen ein paar der Kinder in den klaren blauen Swimmingpool, um Marco Polo zu spielen. Bei diesem Spiel versucht ein mit geschlossenen Augen schwimmendes Kind, andere Kinder zu fangen, die die Augen offen haben. Es ruft: »Marco!«, und die anderen antworten: »Polo!«, und wenn es ruft: »Fisch aus dem Wasser!«, die Augen aufmacht und ein Kind erwischt hat, ist dieser arme Trottel derjenige, der mit geschlossenen Augen durch den Pool pflügen muss. Ich weiß nicht, was das für einen Bezug zu Marco Polo hat, aber es muss sich darin wohl irgendeine Kritik verbergen.
    Während sich Terry zu den Kindern im Becken gesellte, setzte ich mich einem Horror namens Reise nach Jerusalem aus, noch so ein grausames Spiel. Dabei gibt es einen Stuhl zu wenig, und wenn die Musik abbricht, musst du dir schnell einen Platz suchen. Es nimmt kein Ende mit den Lehren fürs Leben auf Kindergeburtstagen. Die Musik dröhnt. Du weißt nie, wann sie abbricht. Man ist das ganze Spiel über angespannt, der Stress ist unerträglich. Alle tanzen um den Kreis von Stühlen, doch es ist kein fröhlicher Tanz, weil alle gespannt auf die Mutter am Radio achten, deren Hand über dem Lautstärkeregler schwebt. Hin und wieder berechnet ein Kind ihre Absicht falsch und stürzt sich auf einen Stuhl. Dann wird es angebrüllt. Es springt schnell wieder auf - ein seelisches Wrack. Die Musik spielt weiter. Die Gesichter der Kinder sind angstverzerrt. Keines will ausgeschlossen werden. Die Mutter verhöhnt die Kinder, indem sie so tut, als wolle sie zum Lautstärkeregler greifen. Die Kinder wünschen, sie wären tot. Das Spiel stellt eine Analogie zum Leben dar: Es sind nie genügend Stühle für alle da, nicht genug Glück, nicht genug Nahrung, Freude, Betten, Jobs oder Vergnügen, nicht genug Freunde, freundliche Gesichter, Geld oder saubere Atemluft... aber die Musik spielt trotzdem weiter.
    Ich war einer der Ersten, die ausscheiden mussten, und ich dachte gerade daran, dass man im Leben stets einen eigenen Stuhl dabeihaben sollte, um nicht auf die schwindenden Allgemeinressourcen angewiesen zu sein, als aus der Richtung des Swimmingpools Geschrei zu vernehmen war. Ich ging nachsehen. Terry hatte beide Arme tief ins Wasser gesteckt, während zwei kleine Hände aus der kristallklaren Tiefe hochlangten und versuchten, ihm die Augen auszukratzen. Die

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