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Vatermord und andere Familienvergnuegen

Vatermord und andere Familienvergnuegen

Titel: Vatermord und andere Familienvergnuegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Toltz
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Gedanken an all die Prügel, die mir noch bevorstanden, und Tränen traten mir in die Augen. Es waren Tränen der Angst. Wie konnte ich mich aus dieser Situation befreien? Ich beobachtete die beiden Schläger unter mir und wünschte, ich hätte gefährliche, geheimnisvolle Kräfte, die ihnen durch und durch gehen würden. Ich stellte mir vor, wie sie ihre Schmähungen mit dem Mund voller Blut singen würden.
    Plötzlich kam mir eine Idee.
    »Die schummeln«, sagte ich zu Terry.
    »Ach ja?«
    »Ja. Ich hasse Schummler, du nicht?«
    Terrys Atem veränderte sich, wurde langsam und unregelmäßig. Es war erstaunlich anzusehen: Sein Gesicht brutzelte wie heißes Fett in der Pfanne.
    Man kann, ohne melodramatisch zu sein, sagen, dass sich das gesamte Schicksal der Familie Dean an diesem Nachmittag auf diesem Baum entschied. Ich bin nicht stolz darauf, dass ich meinen kleinen Bruder aufgehetzt habe, meine Angreifer anzugreifen, und wenn ich gewusst hätte, dass ich praktisch ein paar Dutzend Leichensäcke bestellte, indem ich seine fanatische Sportbegeisterung manipulierte, hätte ich es wahrscheinlich gelassen.
    Was dann geschah, kann ich nicht genau sagen, aber ich kann dir sagen, dass Terry vom Baum kletterte, dem verblüfften Bruno den Kricketschläger entriss und ihm an den Kopf knallte. Ich kann dir sagen, dass der Kampf noch keine fünfzehn Sekunden dauerte, als Dave, der hässlichere der ungleichen Zwillinge, ein Butterfly-Messer zog und es Terry ins Bein rammte. Ich kann dir sagen, wie der Schrei klang, denn er kam von mir. Terry gab keinen Laut von sich. Selbst als das Blut aus seiner Wunde schoss und ich vom Baum kletterte, mich in das Getümmel warf und ihn wegzerrte, blieb er stumm.
    Am nächsten Tag im Krankenhaus teilte ein ungerührter Arzt Terry mit, dass er niemals wieder Football spielen würde.
    »Und was ist mit Schwimmen?«
    »Unwahrscheinlich.«
    »Kricket?«
    »Vielleicht.«
    »Wirklich?«
    »Keine Ahnung. Muss man beim Kricket laufen?« »Ja.«
    »Dann nicht.«
    Ich hörte Terry schlucken. Wir hörten es alle. Es war ziemlich laut. Das Weiche in seinem achtjährigen Gesicht wurde augenblicklich hart. Wir wurden Zeugen des exakten Moments, in dem er gewaltsam aus all seinen Träumen herausgerissen wurde. Eine Sekunde später flössen die Tränen. Er gab unschöne, kehlige Laute von sich, die zu hören ich danach noch ein- oder zweimal das Unglück hatte: unmenschliche Laute, die Begleitmusik jäher Verzweiflung.
     
     

PHILOSOPHIE
    Terrys alter Wunsch war in Erfüllung gegangen: Er war ein Krüppel wie sein großer Bruder. Doch da sich mein Gesundheitszustand mittlerweile normalisiert hatte, war Terry damit allein. Er benutzte meine ausrangierten Krücken, um von A nach B zu gelangen, manchmal aber war es ihm lieber, tagelang an Punkt A zu verharren. Als er die Krücken dann nicht mehr brauchte, stieg er auf einen lackierten Gehstock aus dunklem Holz um. Er verbannte alles, was ihn an Sport erinnerte, aus seinem Zimmer: die Poster, die Fotos, die Zeitungsausschnitte, seinen Football, den Kricketschläger und seine Schwimmbrille. Terry wollte vergessen. Aber wie konnte er? Man kann nicht vor seinem eigenen Bein davonlaufen, schon gar nicht, wenn es die Last zerbrochener Träume trägt.
    Meine Mutter versuchte, ihren Sohn (und sich selbst) zu trösten, indem sie ihn wie ein kleines Kind behandelte - sie machte ihm jeden Tag sein Lieblingsgericht (Würstchen mit Bohnen in Tomatensoße), versuchte, ihn zu knuddeln, sie redete in Babysprache mit ihm und fuhr ihm ständig übers Haar. Wenn er es zugelassen hätte, hätte sie seine Stirn gestreichelt, bis sich die Haut ablöste. Auch mein Vater war depressiv - er jammerte, überfraß sich, kippte Bier in sich hinein wie nichts und hielt Terrys Sportpokale zärtlich im Arm wie tote Babys. Mein Vater wurde fett in jenen Tagen. Er schlang jede Mahlzeit so hektisch hinunter, als wäre es seine letzte. Während der ersten Monate quoll das alles nach vorne raus, und sein von Natur aus schlanker Körper knickte unter der plötzlichen Gewichtszunahme ein, doch dann gaben auch Taille und Hüften nach und wurden genau einen Zentimeter breiter als der übliche Türrahmen. Mir die Schuld an der ganzen Misere zu geben, heiterte ihn ein wenig auf, doch das war schließlich nichts, das man erst durch eine Psychotherapie aus ihm herauslocken musste. Er schluckte seine Schuldzuweisungen nicht hinunter, sondern kam freiheraus damit und wedelte während der Mahlzeiten

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