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Vatermord und andere Familienvergnuegen

Vatermord und andere Familienvergnuegen

Titel: Vatermord und andere Familienvergnuegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Toltz
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beichten.«
    »Was?«
    »Ich habe dich gehört«, sagte er. »Du hast was gehört?«
    »Dort im Dschungel. Als sie kamen. Ich habe deine Stimme gehört, die mich warnte.«
    »Du hast mich gehört?«, stieß ich hervor. Ich konnte es nicht fassen. »Du hast es gehört? Warum hast du nichts unternommen? Du hättest Caroline das Leben retten können!«
    »Ich dachte, es wäre nicht echt.«
    Wir sagten beide lange nichts. Wir schauten nur schweigend auf die wogende See.
    Dann setzte der Schmerz wieder ein. Dad heulte auf. Ich hatte Angst. Dann steigerte sich die Angst zur Panik. Stirb nicht, dachte ich. Verlass mich nicht. Du kündigst eine Partnerschaft auf, merkst du das nicht? Bitte, Dad. Ich bin vollkommen von dir abhängig, selbst als dein Gegenteil, gerade als dein Gegenteil - denn wenn du tot bist, was bin ich dann? Ist das Gegenteil von nichts alles? Oder ist es auch nichts?
    Und ich will auch nicht auf ein Gespenst sauer sein. Das nimmt ja sonst nie ein Ende.
    »Dad, ich vergebe dir.«
    »Was denn?«
    »Alles.«
    »Wie, alles? Was habe ich dir denn je getan?«
    Wer ist dieser schreckliche Mensch? »Nicht weiter wichtig.«
    »Okay.«
    »Dad, ich liebe dich.« »Ich liebe dich auch.« So. Wir hatten es gesagt. Gut.
    Oder auch nicht - seltsam unbefriedigend. Wir hatten gesagt: »Ich liebe dich.« Vater und Sohn, am Sterbebett des Ersteren, sagen, dass sie einander lieben. Warum fühlte sich das falsch an? Deswegen: Weil ich etwas wusste, das sonst niemand wusste oder je wissen würde - was für ein merkwürdiger und wunderbarer Mensch er war. Und das war es, was ich eigentlich sagen wollte.
    »Dad.«
    »Ich hätte mich umbringen sollen«, sagte er mit zusammengebissenen Zähnen; dann wiederholte er es, als wäre das sein Mantra. Er würde sich nie verzeihen, nicht Selbstmord begangen zu haben. Ich fand das berechtigt. Ich finde, grundsätzlich sollten sich alle Menschen auf dem Sterbebett vorwerfen, nicht Selbstmord begangen zu haben, und sei es auch nur einen Tag früher. Zuzulassen, dass man durch die Hand der Natur ermordet wird, ist im Grunde der Inbegriff von Trägheit.
    Sein eigentliches Ende kam schnell - abrupt sogar. Ein leichtes Zittern durchfuhr seinen Körper, dann verkrampfte er sich vor Furcht, rang nach Luft, schnappte mit den Zähnen, als wolle er den Tod beißen, und schließlich flackerte das Licht in seinen Augen und erlosch.
    Das war es.
    Dad war tot.
    Dad war tot!
    Unfassbar!
    Und ich hatte ihm nie gesagt, dass ich ihn mochte. Warum nicht? Ich liebe dich - blabla. Wie schwer ist es schon, »Ich liebe dich« zu sagen? Das ist eine Scheißsongzeile. Dad hatte gewusst, dass ich ihn liebte. Aber er hat nie erfahren, dass ich ihn mochte. Ja sogar respektierte.
    Er hatte Speichel auf der Lippe, den er nicht mehr hatte schlucken können. Seine Augen, ohne Seele, ohne Bewusstsein, schafften es dennoch, unzufrieden dreinzuschauen. Sein Gesicht, vom Tode entstellt, verfluchte den Rest der Menschheit mit einem geringschätzigen Zug um den Mund. Es war einfach nicht zu glauben, dass der lange, unrühmliche Aufruhr in seinem Kopf für immer vorbei war.
    Ein paar der Flüchtlinge kamen herbei, weil sie mir dabei helfen wollten, ihn über die Reling zu werfen.
    »Rührt ihn nicht an!«, schrie ich.
    Ich war entschlossen, das Seebegräbnis ganz allein zu vollziehen, ohne Hilfe. Es bedeutete nichts mehr, aber ich hielt daran fest. Ich kniete neben ihm nieder und schob meine Arme unter ihn. Seine langen, schlaffen Arme baumelten mir über die Schulter. Die Wellen schwollen an, als leckten sie sich schon die Lippen. Die Flüchtlinge schauten mit ihren schmalen, eingefallenen Gesichtern respektvoll zu. Die stumme Zeremonie rüttelte sie aus ihrem eigenen trägen Vegetieren auf.
    Ich schwang seinen Leichnam über die Reling und übergab ihn der tosenden See. Einen Moment lang trieb er auf der Oberfläche, tanzte auf und ab, ähnlich wie eine Mohrrübe, die man im Ganzen in einen köchelnden Eintopf geworfen hat. Dann ging er wie von unsichtbaren Händen gezogen unter und verschwand schnell, um irgendwo in verborgenen Winkeln des Ozeans sich selbst zu begegnen. Das war's.
    Auf Wiedersehen, Dad. Ich hoffe, du wusstest, wie viel du mir bedeutet hast.
    Ned legte mir die Hand auf die Schulter. »Nun ist er bei Gott.«
    »So was Schreckliches sagt man nicht.«
    »Dein Vater hat es nie begriffen, was es bedeutet, Teil von etwas Größerem als man selbst zu sein.«
    Seine Worte gingen mir auf den Geist. Die Leute sagen

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