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Vatermord und andere Familienvergnuegen

Vatermord und andere Familienvergnuegen

Titel: Vatermord und andere Familienvergnuegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Toltz
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immer: »Es ist gut, Teil von etwas zu sein, das größer ist als man selbst«, doch das ist man bereits. Man ist Teil einer gewaltigen Sache. Teil der gesamten Menschheit. Das ist ungeheuerlich. Aber man kann es nicht selbst sehen, daher sucht man sich, ja was? Eine Organisation? Eine Kultur? Eine Religion? So was ist nicht größer als man selbst. Es ist viel, viel kleiner!
     
    Sonne und Mond hatten gerade begonnen, sich den Himmel zu teilen, als sich das Boot der Küstenlinie näherte. Ich suchte den Blickkontakt zu Ned, breitete in theatralischer Geste die Arme aus und zeigte auf das Buschland, das die Bucht einrahmte. Ned starrte mich verständnislos an, denn er begriff nicht, dass ich plötzlich von dem irrationalen Gefühl überwältigt war, sein Gastgeber zu sein, fast vor Stolz platzte und ihm alles zeigen wollte.
    Der Kapitän trat aus der Dunkelheit hervor und drängte alle, wieder unter Deck zu gehen. Bevor ich ihnen folgte, blieb ich auf der obersten Treppenstufe noch mal stehen. Am Strand konnte ich Menschen erkennen. Sie standen reglos in Gruppen am Ufer, dunkle Gestalten, die wie Pfosten in den nassen Sand gerammt waren. Ned kam zu mir an die Reling und umklammerte meinen Arm.
    »Vielleicht sind es nur Angler«, sagte ich.
    Die menschlichen Gestalten wurden größer. Es waren zu viele, als dass es Angler sein konnten. Außerdem hatten sie Suchscheinwerfer, die uns direkt ins Gesicht schienen. Das Boot hatte es ans Land geschafft, aber wir waren geliefert.
     

V
    Bundespolizei und Küstenwache waren über den ganzen Strand verteilt. Es dauerte nicht lange, bis man uns umzingelt hatte. Die Beamten von der Küstenwache stolzierten herum und führten sich auf wie Forellenangler, die unerwartet einen Pottwal an Land gezogen hatten. Ihr Anblick machte mich ganz krank, und ich wusste, dass meinen Reisegefährten ein Albtraum an Bürokratie bevorstand, aus dem sie vielleicht nie wieder erwachen würden. Arm, Ausländer, illegal und der Gnade einer wohlhabenden Nation der westlichen Welt ausgeliefert - da stand man auf sehr unsicherem Terrain.
    Nun, da Dad für immer fort war, nicht mehr da, um mir das Leben zur Hölle zu machen, übernahm ich automatisch seine Rolle. Genau wie ich es immer befürchtet und Eddie es mir prophezeit hatte, war es nun, da Dad tot war, an mir, Schindluder mit meiner Zukunft zu treiben. Daher kam es mir an diesem Strand in der Morgendämmerung absolut natürlich vor, nicht zu tun, was ich nicht tat.
    Ich hätte reichlich Gelegenheit gehabt, mich zu melden, zu erklären, dass ich Australier sei und jedes Recht der Welt hätte, ungehindert meiner Wege zu gehen. Ich hätte mich von den Flüchtlingen absondern sollen. Es gibt ja nun wirklich kein Gesetz, das einem Australier verbietet, auf einem lecken Seelenverkäufer nach Australien heimzukehren. Theoretisch hätte ich mich auch mit einer riesigen Steinschleuder von Asien nach Hause schießen lassen können, wäre das technisch machbar, aber ich sagte aus irgendeinem Grund nichts. Ich hielt einfach die Klappe und ließ mich mit den anderen einpferchen.
    Aber wieso verwechselten sie mich eigentlich mit einem Flüchtling? Das von meinem Vater ererbte schwarze Haar, der dunkle Teint und die Unfähigkeit meiner Landsleute, sich von der Idee zu verabschieden, die Mehrheit von uns seien Angelsachsen, arbeiteten da wunderbar Hand in Hand. Alle glaubten, ich sei aus Afghanistan, dem Libanon oder dem Irak, und nicht einer dachte daran, mich danach zu fragen. Und so wurden wir einfach fortgeschafft.
     
    Und so landete ich in diesem seltsamen Gefängnis, das auf allen Seiten von einer schier endlos wirkenden Wüste umgeben ist. Sie bezeichnen es als Internierungslager, aber versuchen Sie mal, einem Gefangenen zu erklären, er sei ja nur interniert. Mal sehen, ob er diese Unterscheidung tröstlich findet.
    Die Beamten hatten Probleme, mich zu klassifizieren, da ich mich weigerte, mit ihnen zu reden. Sie waren von Anfang an ganz wild darauf, mich zu deportieren, doch sie wussten nicht, wohin. Diverse Dolmetscher beknieten mich in verschiedenen Sprachen. Wer ich sei und warum ich es nicht verraten wolle. Sie tippten auf ein Land nach dem anderen, nur auf eines nicht - keiner kam auf den Gedanken, dass mein Herkunftsort und mein Zielort ein und derselbe waren.
    Wenn ich nicht gerade in Englischkursen saß und so tat, als mühte ich mich mit dem englischen Abc ab, schrieb ich über Wochen meine Geschichte auf Schreibpapier nieder, das ich in den

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