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Vatermord und andere Familienvergnuegen

Vatermord und andere Familienvergnuegen

Titel: Vatermord und andere Familienvergnuegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Toltz
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nicht. Die Templer waren...«
    »Die Templer waren ein internationaler militärischer Ritterorden, der 1118 während der Kreuzzüge gegründet wurde«, erklärte ich.
    Harrys Augen hefteten sich auf mich.
    »Wie alt bist du?«
    »Vierzehn.«
    »Ein Knabe mit Bildung! Hervorragend! Genau daran mangelt's der kriminellen Klasse! Ein bisschen Grips!«
    »Ich bin nur zur moralischen Unterstützung hier. Verbrechen ist Terrys Ding.«
    »Ach, jammerschade. Na, dann sorg dafür, dass er richtig was lernt. Wir brauchen nicht noch mehr Hohlköpfe in unserer Branche. Terry, hör immer auf deinen Bruder, okay?«
    »Okay.«
    »Perfekt. Gut, dass ihr Jungs zu mir gekommen seid. Jeder andere hätte euch irgendeinen Mist nachgeplappert, der euch direkt ins Grab oder zu mir hinter Gitter bringen würde.«
    »Die Zeit ist um!«, rief ein Wachmann vom Flur.
    »Gut, sieht aus, als war der Unterricht für heute vorbei. Kommt nächste Woche wieder, und ich erkläre euch, wie ihr euch die Loyalität der Bullen sichert.«
    »Ich sagte, die Zeit ist rum!«, brüllte der Schließer. Nun stand er schon auf der Schwelle, ganz genervt.
    »Okay, Jungs, ihr habt den Mann gehört. Raus mit euch. Aber kommt wieder, ich hab noch jede Menge mehr zu erzählen. Und man weiß ja nie, vielleicht können wir ja eines Tages zusammenarbeiten. Dass ich Lebenslänglich habe, heißt ja nicht, dass ich nicht eines Tages rauskomme. Lebenslänglich bedeutet nicht wirklich lebenslang. Das ist nur eine Redewendung. Es bedeutet eine Ewigkeit, aber die ist kürzer als lebenslang, wisst ihr, was ich meine?«
    Als wir aus dem Raum geleitet wurden, redete Harry immer noch.
     
    Bruno und Dave fanden Harrys Ratschläge beschissen. Ein namenloser Verbrecher? Eine demokratische Gang? Was sollte denn der Scheiß? Natürlich würden ihre Namen in die Geschichte eingehen! Berüchtigt werden, das stand ganz oben auf ihrer Wunschliste. Nein, das Einzige, was ihnen von Harrys Monolog zusagte, war das Horten und Verstecken von Waffen.
    »Ohne Waffen sind wir gar nichts. Wir müssen die nächsthöhere Stufe erklimmen«, tönte Bruno. Mich schauderte bei der Vorstellung, was diese Stufe beinhalten könnte, aber ich wusste nicht, wie ich ihnen das ausreden sollte, denn schließlich war ich es ja gewesen, der ihnen geraten hatte, Harry aufzusuchen. Und meinen Bruder konnte ich auch nicht von einem gewalttätigen Leben abbringen. Das war, als würde man versuchen, einen kleinen Mann zu überreden, größer zu sein. Ich wusste, dass Terry nicht im eigentlichen Sinne grausam war, er war bloß ein Draufgänger, der sich keinerlei Gedanken um seine eigene physische Unversehrtheit machte und diese Unbekümmertheit auf die Körper anderer ausdehnte.
    Er besuchte Harry einmal im Monat, immer allein. Auch wenn er mich noch so drängte, auch wenn das Gerede des Häftlings noch so oft Sinn hatte, ich weigerte mich standhaft, noch mal ins Gefängnis zu gehen. Ich hielt Harry für einen gefährlichen Irren und/oder einen unerträglichen Schwachkopf. Darauf konnte ich gut verzichten.
    Und dennoch stieg ich etwa sechs Monate nach dem ersten Besuch noch einmal auf den Hügel, diesmal ohne Terry. Warum? Harry hatte meine Anwesenheit erbeten. Ich hatte widerwillig zugestimmt, weil Terry mich inständig bekniet hatte, und als Harry in den Besucherraum gehinkt kam, fielen mir die frischen Schnittwunden und Blutergüsse in seinem Gesicht auf.
    »Du müsstest erst mal den anderen sehen«, sagte Harry und setzte sich auf einen Stuhl. Er starrte mich neugierig an. Ich starrte ungeduldig zurück. Sein Starren und mein Starren hätten nicht unterschiedlicher sein können.
    »Tja, Martin, weißt du, was ich sehe, wenn ich dich vor mir habe? Ich sehe einen Jungen, der sich bedeckt halten will. Da. Du hast den Ärmel halb über deine Hand gezogen. Du sitzt gekrümmt da. Mir sagt das: Hier ist ein Junge, der am liebsten unsichtbar wäre.«
    »Und deshalb wollten Sie mich sehen?«
    »Terry redet oft von dir. Er hat mir alles über dich erzählt. Das hat mich neugierig gemacht.«
    »Wie nett.«
    »Er hat behauptet, du hättest keine Freunde.«
    Ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte.
    »Jetzt sieh dir an, wie du das Gesicht verziehst. Kaum merklich. Nur eine Kleinigkeit, um die Augen. Bildest dir ein Urteil über mich, stimmt's? Nur nicht schüchtern, mein kleiner Misanthrop. Es kann dir kaum entgangen sein, dass ich mein Urteil schon weghab und be- und ver- und abgeurteilt worden bin! Gott, das ist das

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