Vatermord und andere Familienvergnuegen
es verdienten, und nicht selten mit einem erschreckend religiösen Eifer befolgt.
»Es ist nicht meine Schuld, dass es vergebliche Liebesmühe ist, seine Söhne nach strengen moralischen Richtlinien zu erziehen, wenn sie ständig dem Einfluss ihrer Altersgenossen ausgesetzt sind«, sagte mein Vater an jenem Tag beim Abendessen. »Ein falscher Freund, und schon kann dein Kind aus der Bahn geworfen werden.«
Wir saßen da, hörten ihm beklommen zu und sahen die Gedanken durch seinen Kopf wirbeln wie Staub im Wind.
Am nächsten Tag erschien er in der Mittagspause auf dem Schulhof. Terry und ich gingen auf Tauchstation, aber von uns wollte er gar nichts. Er setzte sich mit einem Notizblock im Schoß auf die Schaukel, beobachtete die spielenden Kinder und fertigte eine Liste von Jungen an, die er für geeignet befand, mit seinen Söhnen befreundet zu sein. Natürlich müssen ihn die Kinder für verrückt gehalten haben (das war noch vor der Zeit, in der man ihn schlicht für einen Pädophilen gehalten hätte), aber ihm bei seinem leidenschaftlichen Bemühen zuzusehen, mich und Terry von der schiefen Bahn zu holen, war für mich zugleich bemitleidens- und bewundernswert. Ab und zu rief er einen Jungen zu sich und unterhielt sich mit ihm, und ich weiß noch, dass mich die Ernsthaftigkeit, mit der er seine wirklich abwegige Idee umsetzte, insgeheim beeindruckte.
Wer weiß, worüber sie bei diesen informellen Vorstellungsgesprächen redeten, aber nach einer Woche hatte mein Vater eine Liste von fünfzehn Kandidaten erstellt: anständige, tüchtige Jungen aus guten Familien. Er präsentierte uns die Ergebnisse seiner intensiven Nachforschungen.
»Das hier sind geeignete Freunde«, sagte er. »Jetzt geht und freundet euch mit ihnen an.«
Ich erklärte ihm, ich könne mir nicht mal einen Freund kneten.
»Erzähl keinen Unfug«, schimpfte mein Vater. »Ich weiß, wie man sich Freunde macht. Man geht einfach hin und spricht sie an.«
Er ließ nicht locker. Er wollte Zwischenberichte. Er wollte Ergebnisse. Er wollte Freundschaften fürs Leben vor sich aufmarschieren sehen, und das war ein Befehl! Schließlich sorgte Terry dafür, dass seine Bande ein paar unverdächtige Jungen auf dieser Liste »überzeugte«, nach der Schule mitzukommen und bei uns im Garten zu spielen. Sie kamen, schlotterten den ganzen Nachmittag lang, und mein Vater gab eine Weile Ruhe.
Nicht so die Vorschlagsbox. Der ganze Ort konnte sehen, dass Terry nach wie vor mit Bruno und Dave herumzog. Der nächste Vorschlag lautete:
»Seine Eltern sind zwar nicht religiös, aber ich meine trotzdem, dass Terry ein wenig geistliche Unterweisung guttun würde. Es ist noch nicht zu spät für Terry, sich zu bessern.«
Wieder war mein Vater wütend, aber auch erstaunlich gefügig. Das sollte zum Grundmuster werden, und während die Zahl der Vorschläge wegen Terrys irregeleiteten Betragens wuchs und unsere Familie zum Objekt permanenter Aufmerksamkeit und Überwachung wurde, verfluchte mein Vater sowohl den Kasten als auch den »Satan«, der ihn aufgestellt hatte; dennoch unterwarf er sich.
Nachdem er vom Rathaus zurückgekehrt war, stritt mein Vater mit meiner Mutter. Sie wollte einen Rabbi holen, der mit Terry reden sollte. Er fand, ein Pfarrer sei für den Job besser geeignet. Zum Schluss gewann meine Mutter. Ein Rabbi kam ins Haus und sprach mit Terry über das Thema Gewalt. Rabbis wissen jede Menge über Gewalt; sie arbeiten ja für einen Gott, der für seinen Zorn berüchtigt ist. Dummerweise glauben die Juden nicht an eine Hölle und haben damit keine allzeit verfügbare Schreckenskammer, wie sie Katholiken stets in der Hinterhand haben, um die Nerven ihrer Jugend zu zerrütten. Einem jüdischen kleinen Jungen kann man nicht sagen: »Siehst du, da in dem Höllenfeuer wirst du schmoren!« Man muss ihm Anekdoten über die Rachsucht des Allmächtigen erzählen und hoffen, dass er den Wink versteht.
Terry verstand ihn nicht, und es sollten noch weitere Vorschläge kommen, aber du brauchst nicht zu denken, dass der Kasten es nur auf meinen Bruder abgesehen hatte. An einem Montagabend mitten im Sommer fiel auch mein Name. »Jemand sollte dem jungen Martin Dean mal sagen, dass es unhöflich ist, Leute anzustarren«, begann der Vorschlag, was den ganzen Saal zu spontanem Applaus veranlasste. »Er ist ein mürrischer Junge, der jedem auf die Nerven geht, weil er alle anglotzt. Und ständig klebt er an Caroline Potts.« Ich sage dir, Demütigung ist kein
Weitere Kostenlose Bücher