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Vatermord und andere Familienvergnuegen

Vatermord und andere Familienvergnuegen

Titel: Vatermord und andere Familienvergnuegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Toltz
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Fremdwort für mich, aber nichts hat je diesen hochpeinlichen Moment übertroffen.
    Einen Monat später wurde ein weiterer die Familie Dean betreffender Vorschlag aus dem Kasten gezogen, und diesmal ging es gegen meine Mutter.
     
    »Mrs. Dean soll es doch lassen, unsere Zeit mit langatmigen Rechtfertigungen zu vergeuden, warum ihr Ehemann und ihre Kinder hoffnungslose Fälle sind. Terry ist nicht einfach nur >wild<, er ist zutiefst verkommen. Martin hat nicht >seinen eigenen Kopf<, er ist ein Soziopath, und ihr Mann hat keine >lebhafte Fantasie<, er ist ein dreister Lügner.«
     
    Es stand außer Frage: Unsere Familie war eine bevorzugte Zielscheibe, und die Leute schienen es wirklich auf Terry abgesehen zu haben. Meine Mutter bekam Angst um ihn, und ich bekam Angst vor ihrer Angst. Ihre Angst war entsetzlich. Sie setzte sich an Terrys Bett, wenn er schlief, und flüsterte von Mitternacht bis morgens früh »Ich liebe dich«, als versuche sie, sein Verhalten über sein Unbewusstes zu verändern, bevor andere es für ihn taten. Sie hatte erkannt, dass unsere Mitbürger der Bekehrung ihres Sohnes höchste Priorität zumaßen; erst war er ihrer aller Stolz gewesen, nun ihrer aller Schande, und als es klar war, dass Terry weiter mit der Gang herumziehen, stehlen und sich prügeln würde, wurde ein neuer Vorschlag eingereicht:
     
    »Ich bin dafür, den aufsässigen Terry Dean zum Gefängnis oben auf dem Hügel zu bringen, damit er von einem Insassen alles über das schreckliche Leben im Gefängnis erfährt. Vielleicht hilft ja die Abschreckungspolitik.«
     
    Sicherheitshalber zwang mich mein Vater, ebenfalls mitzukommen, nur für den Fall, dass ich auf die Idee käme, meinem Bruder auf seinem Weg in die Kriminalität zu folgen. Und so trotteten wir den Berg zum Gefängnis, unserer eigentlichen Schule, hinauf, auf dem staubigen Weg, der wie eine offene Wunde in der Flanke des Hügels klaffte.
    Man hatte eine Begegnung mit dem schlimmsten Verbrecher im Gefängnis arrangiert. Sein Name war Vincent White. Es war ihm nicht gut ergangen im Knast: Siebenmal hatte man mit dem Messer auf ihn eingestochen und ihm das Gesicht aufgeschlitzt, er hatte ein Auge eingebüßt, und seine Lippe baumelte seither in seinem Gesicht wie ein Etikett, das man am liebsten abgerissen hätte. Zu dritt saßen wir ihm im Besucherraum gegenüber. Terry war Vincent schon vorher begegnet, mit Harry zusammen. »Wundert mich 'n bisschen, dass du mich sehen willst«, sagte Vincent gleich als Erstes. »Haste Ehekrach mit Harry?« Terry schüttelte unmerklich den Kopf, um ihm ein Zeichen zu geben, doch Vincents verbliebenes Auge wanderte durch den Raum und musterte dann meinen Vater: »Wen hast du denn da angeschleppt? Ist das dein Alter?«
    Mein Vater zerrte uns aus dem Gefängnis, als würde es lichterloh brennen, und von diesem Tag an war es den Dean-Jungs verboten, irgendeinen der Insassen zu besuchen. Ich versuchte noch ein-, zweimal Harry zu sehen, wurde jedoch abgewiesen. Das war niederschmetternd. Ich brauchte seinen Rat mehr denn je. Ich wusste, dass die Dinge einem Kulminationspunkt zustrebten, von dem wir bestimmt nichts Gutes zu erwarten hatten. Hätte ich die Geistesgegenwart besessen, hätte ich meinem Bruder vielleicht nahe gelegt, unsere Stadt zu verlassen, als sich kurz nach dem Vorfall im Gefängnis eine Gelegenheit ergab, diesem furchtbaren Schlamassel zu entkommen, den ich angerichtet hatte.
    Es war ein Freitagnachmittag, und Bruno und Dave fuhren in einem gestohlenen Jeep vor, der mit ihrem ganzen Hab und Gut und dazu noch mit dem Hab und Gut anderer Leute beladen war. Sie hupten. Terry und ich gingen zu ihnen nach draußen.
    »Komm mit, Alter, wir verpissen uns aus diesem Drecksloch«, rief Dave Terry zu.
    »Ich komm nicht mit.«
    »Wieso nicht?«
    »Keine Lust.«
    »Weichei!«
    »Wirst die doch nie ficken«, sagte Bruno. Terry erwiderte nichts darauf.
    Bruno und Dave jagten den Motor hoch und rasten mit quietschenden Reifen davon. Wir sahen ihnen nach, bis sie verschwunden waren. Ich war erschüttert, dass Menschen, nachdem sie dir derart viel Schmerz, Kummer und Leid zugefügt hatten, einfach so, ohne viel Federlesens, aus deinem Leben verschwinden konnten. Terry starrte auf die leere Straße.
    »Wen wirst du nie ficken?«, fragte ich.
    »Niemanden.«
    »Ich auch nicht.«
    Die nächste Versammlung im Rathaus sollte am Montag sein, und wir fürchteten uns alle davor. Wir wussten, dass das Orakel einen weiteren Vorschlag für Terry

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