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Vatermord und andere Familienvergnuegen

Vatermord und andere Familienvergnuegen

Titel: Vatermord und andere Familienvergnuegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Toltz
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es nicht sehen konnte. Jim brachte die Kacke zum Dampfen, und da Anonymität ein Garant für Ehrlichkeit ist (wie schon Oscar Wilde sagte: »Gib ihm eine Maske, und er wird dir die Wahrheit sagen«), zogen alle so richtig vom Leder.
    Ein Vorschlag lautete: »Linda Miller, du Nutte. Hör auf, mit unseren Männern rumzuhuren, oder wir organisieren einen Lynchmob, der dir deine dicken Titten abschneidet.«
    Und dann dieser: »Maggie Steadman, du alte Blindschleiche. Man sollte dir verbieten, deinen Wagen auch nur in der Nähe unserer Stadt zu parken, wenn du Größenverhältnisse und Abstände nicht einschätzen kannst.«
    Und dieser: »Lionel Potts soll aufhören, mit seinem Geld anzugeben und in der Stadt alles aufzukaufen.«
    Oder der: »Andrew Christiansen, du hast kein Rückgrat. Ich hab kein Rezept dagegen, ich wollte nur mal daraufhinweisen.«
    Außerdem: »Mrs. Kingston, hören Sie auf, uns mit Eifersuchtsgeschichten über Ihren untreuen Gatten zu belästigen. Sein Atem stinkt wie faule Eier, die als Dünnpfiff wieder ausgeschissen wurden. Um den müssen Sie sich keine Sorgen machen.«
    Und noch einer: »Geraldine Trent, ungeachtet deiner >Ich schweige wie ein Grab<-Beteuerungen bist du eine schreckliche Klatschtante und hast schon das Vertrauen von praktisch jedem in der Stadt missbraucht. PS. Deine Tochter ist drogensüchtig und lesbisch. Aber keine Sorge, ich schweige wie ein Grab.«
    Die Menschen begannen, sich vor der Verlesung der Vorschläge zu fürchten, sie könnten ja selbst darin erwähnt werden. Auf einmal fühlten sie sich schutzlos und bloßgestellt und beäugten einander misstrauisch auf der Straße, bis sie schließlich immer weniger Zeit in Gesellschaft verbrachten und sich lieber zu Hause einigelten. Ich war empört. Innerhalb weniger Monate hatte meine Vorschlagsbox unsere Kleinstadt wirklich zum unattraktivsten Ort in New South Wales gemacht, ja eigentlich zum unattraktivsten Ort schlechthin.
    In der Zwischenzeit waren die Zwillinge sechzehn geworden und begingen dieses freudige Ereignis damit, dass sie die Schule schmissen. Bruno und Dave sparten auf Waffen und planten den Umzug in die Stadt. Terry wollte sich ihnen anschließen. Was mich anging, ich hatte es schließlich doch geschafft, mich aus der Bande herauszuwinden. Es gab keinen Grund mehr, so zu tun, als würde ich über Terry wachen, Bruno hatte endlich den Punkt erreicht, dass er glaubte, sich schon bei meinem bloßen Anblick »komplett auskotzen« zu müssen, und, ehrlich gesagt, hatte ich von der ganzen Mischpoke die Schnauze gestrichen voll. Der Nutzen, der mir aus der Verbindung zur Gang erwachsen war, war mir nicht mehr zu nehmen; meine Mitschüler ließen die Finger von mir. Ich wachte nicht mehr jeden Morgen in Furcht auf und hatte den Kopf frei, um mich mit anderen Dingen zu befassen. Wie zeitraubend Angst sein kann, merkt man eigentlich erst so richtig, wenn sie vorbei ist.
    Ich verbrachte jede freie Millisekunde mit Caroline. Ich war nicht nur von ihrem immer deutlicher aufblühenden Körper fasziniert, sondern auch von ihren exzentrischen Zügen. So war sie etwa von der Vorstellung besessen, dass die Leute ihr etwas vorenthielten. Gnadenlos entlockte sie den Menschen ihre Lebensgeschichten; sie meinte, ältere Menschen, die schon an vielen Orten gelebt hatten, hätten alles erlebt, was das Leben so bereithält, und das wollte sie hören. Die Kinder in unserem Städtchen waren ihr egal, die wussten ja nichts. Es war leicht, die Erwachsenen zum Erzählen zu bringen. Sie schienen ohnehin ständig Ausschau zu halten nach einem Gefäß, in das sie die angesammelte und ungefilterte Gülle ihres Lebens kübeln konnten. Doch wenn sie dann mit ihren Geschichten zu Ende waren, strafte Caroline sie mit einem Blick voller Gleichgültigkeit, der nur besagte: »Und das war alles?«
    Sie las auch viel, allerdings holte sie sich aus den Büchern ganz andere Dinge als ich. Die Lebensweise der Charaktere, wie sie sich kleideten, tranken, reisten, erforschten, rauchten, fickten, Partys feierten und liebten, das alles faszinierte sie. Sie sehnte sich nach Exotik. Sie wollte die ganze Welt bereisen. Sie wollte Sex in einem Iglu erleben. Es war ulkig, wie sehr Lionel Potts seine Tochter unterstützte. »Eines Tages werde ich Champagner trinken, während ich kopfüber an einem Trapez hänge!«, verkündete sie etwa, und er faselte dann endlos: »Gut so! Ich weiß, du schaffst das! Es ist wichtig, sich Ziele zu setzen! Think big!« Sie brachte

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