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Vatermord und andere Familienvergnuegen

Vatermord und andere Familienvergnuegen

Titel: Vatermord und andere Familienvergnuegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Toltz
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war das spannend! Ich sage dir, ich hatte im Leben den einen oder anderen Erfolg, aber dieses Gefühl absoluter Befriedigung, das dieser erste Triumph mir bescherte, hab ich nie wieder erlebt.
    Während das mit dem Observatorium noch einiger Vorplanung bedurfte, wurde mein Vorschlag, den fragwürdigen Titel »Unattraktivster Wohnort in ganz New South Wales« werbewirksam zur Touristenattraktion umzumünzen, sofort in Angriff genommen. Am Ortseingang und -ausgang wurden entsprechende Straßenschilder aufgestellt.
    Dann warteten wir auf die Touristen.
    Erstaunlicherweise kamen sie.
    Wenn sich ihre Wagen durch die Straßen schoben, setzten die Einheimischen mürrische Mienen auf und schlurften lustlos durch die Gegend.
    »He, wie lebt es sich denn hier so? Warum ist es so schlimm?«, fragten die Touristen.
    »Ist einfach so«, kam als trübsinnige Antwort.
    Tagesausflügler zogen durch die Straßen und sahen in jedem Gesicht den Ausdruck von Verzweiflung und Einsamkeit. Auch im Pub spielten die Einheimischen die Elenden.
    »Wie ist denn das Essen hier?«, fragten die Touristen.
    »Grässlich.«
    »Dann nehm ich nur ein Bier.« »Wir strecken es, dafür kostet es mehr. Okay?«
    »He - das ist ja wirklich der unattraktivste Ort in ganz New South Wales!«
     
    Wenn die Touristen fort waren, kehrte das Lächeln in die Gesichter zurück, und die ganze Stadt gratulierte sich zu diesem gelungenen Schabernack.
    Alle blickten der monatlichen Leerung des zumeist randvollen Kastens mit Spannung entgegen. Die Versammlungen waren für jeden offen, und in der Regel gab es nur Stehplätze. Für gewöhnlich begann Stadtrat Ackerman damit, dass er seine Enttäuschung über die Dinge zum Ausdruck brachte, die er in dem Kasten gefunden hatte und die keine Vorschläge waren - Orangenschalen, tote Vögel, Zeitungen, Chipstüten und Kaugummi -, dann verlas er die Vorschläge, ein erstaunliches Aufgebot an Möglichkeiten. Die Faszination, Ideen zu entwickeln, hatte anscheinend alle erfasst. Die Vorstellung, dass die Stadt sich verbessern, sich entwickeln könnte, hatte Anklang gefunden. Die Leute begannen, kleine Notizbücher mit sich zu führen; man konnte sehen, wie sie mitten auf der Straße abrupt stehen blieben, sich an Straßenlaternen lehnten oder auf den Bürgersteig kauerten, weil ihnen plötzlich eine Idee durch den Kopf schoss. Alle notierten sich ihre Einfälle, und mit welcher Heimlichtuerei! Die Anonymität der Vorschlagsbox erlaubte es den Leuten, ihre Sehnsüchte und Träume zum Ausdruck zu bringen, und ihnen fielen wirklich die verrücktesten Dinge ein.
    Zuerst einmal gab es da praktische Vorschläge, die die Infrastruktur und allgemeine kommunale Angelegenheiten betrafen: Aufhebung aller Parkverbote, Senkung der Steuern und Benzinpreise und Festschreibung des Bierpreises auf einen Cent. Es gab Vorschläge, die dahin zielten, uns von der nächstgrößeren Stadt unabhängig zu machen, indem wir uns ein eigenes Krankenhaus, ein eigenes Gericht und unsere eigene Skyline zulegten. Freizeitveranstaltungen wie städtische Grillfeste, nächtliche Feuerwerke und römische Orgien wurden angeregt, und es gab unendliche viele Bauvorschläge für alles Mögliche: bessere Straßen, ein Münzamt, ein Football-Stadion, eine Pferderennbahn und, ungeachtet der Tatsache, dass wir im Inland lagen, den Bau einer Hafenbrücke. Eine endlose Liste von letztlich unsinnigen Vorschlägen, für deren Realisierung unser Stadtrat einfach nicht genug Geld hatte.
    Als den Leuten die kommunalen Belange schließlich zu langweilig wurden, fassten sie sich gegenseitig näher ins Auge.
    Es wurde vorgeschlagen, dass Mrs. Dawes nicht mehr herumstolzieren solle, »als wäre sie was Besseres«, und dass Mr. French, unser Lebensmittelhändler, nicht länger behaupten solle, er habe es nicht so mit den Zahlen, wenn er dabei ertappt wurde, wie er zu wenig herausgab, und Mrs. Anderson sollte auf der Stelle damit aufhören, allen ständig Fotos von ihrem Enkel unter die Nase zu halten, denn auch wenn er erst drei Jahre alt war, »stöhnten wir schon alle, wenn wir ihn nur sahen«. Die Situation kippte so überraschend, weil Patrick Ackerman von einer Lungenentzündung außer Gefecht gesetzt worden war und jetzt sein Vize, Jim Brock, zuständig war. Jim war alt, verbittert und boshaft und verlas selbst die gemeinsten, persönlichsten, idiotischsten und provokantesten Vorschläge mit unschuldiger Stimme, und man hörte ihn dabei förmlich hämisch grinsen, auch wenn man

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