Vatermord und andere Familienvergnuegen
Selbstkastration geradezu, aber wenn deine sterbende Mutter dir das Versprechen ewiger Treue abnimmt, was willst du da sagen? Nein? Vor allem, da ich wusste, dass ihre Zukunft alles andere als glücklich aussah.
Was hatte sie zu erwarten? Qualvolle, langsame Verschlechterung des Gesundheitszustands, immer wieder unterbrochen von Phasen falscher Hoffnung und kurzfristiger Besserung, dann erneute Verschlechterung, all dies unter der Last immer entsetzlicherer Schmerzen und der Furcht vor dem Tod, der sich nicht heimlich anschlich, sondern sich schon von Weitem mit klingenden Fanfaren ankündigte.
Aber warum dieses Versprechen? Es ist nicht so, dass ich Mitleid hatte oder von Gefühlen überwältigt war. Es ist einfach so, dass ich einen grundsätzlichen Widerwillen gegen die Vorstellung habe, einen Menschen bei seinem Leiden und Sterben allein zu lassen, denn ich selbst möchte auch nicht allein leiden und sterben müssen. Dieser Widerwille ist so tief in mir verwurzelt, dass es nichts Edles an sich hatte, meiner Mutter die Treue zu geloben; es war keine moralische Entscheidung, sondern viel eher ein moralischer Reflex. Kurz gesagt, ich bin ein wahrer Schatz, aber ein gefühlloser.
»Ist dir kalt?«, fragte sie mich plötzlich. Ich sagte Nein. Sie zeigte auf die Gänsehaut auf meinem Arm. »Bringen wir dich ins Haus«, sagte sie und legte den Arm um meine Schulter, als wären wir alte Trinkkumpane, die jetzt hineingingen, um eine Partie Pool zu spielen. Als wir auf das Haus zugingen und die Gefängnisklingel wieder durchs Tal schrillte, hatte ich das Gefühl, zwischen uns wäre entweder eine Mauer hochgezogen worden oder eingestürzt, aber ich kam nicht dahinter, was davon zutraf.
Seit Terry in der Klinik war, verbrachte ich praktisch jeden Nachmittag bei Caroline. Wir redeten, wenig überraschend, endlos über Terry. Himmel, wenn ich so überlege, hat es in meinem Leben keine Zeit gegeben, in der ich nicht über diesen Bastard reden musste. Es ist nicht einfach, jemanden zu lieben, noch über seinen Tod hinaus, wenn man permanent auf ihn angequatscht wird.
Jedes Mal, wenn Caroline Terrys Namen erwähnte, brachen ein paar Herzmoleküle ab und lösten sich in meinem Blutkreislauf auf- mein emotionales Zentrum nahm immer weiter ab. Carolines Dilemma war: Sollte sie die Freundin eines verrückten Gangsters werden? An den dramatischen und romantischen Aspekten hätte sie einen Riesenspaß gehabt, aber es gab auch eine besonnene Stimme in Carolines Kopf, eine, die so unverschämt war, ihr Wohlergehen im Sinn zu haben, und das war die Stimme, die sie bedrückte, sie unglücklich machte. Ich hörte ihr zu, ohne sie zu unterbrechen. Ich hatte bald gelernt, zwischen den Zeilen zu lesen: Caroline hatte keine Probleme, sich Eskapaden im Stil von Bonnie und Clyde auszumalen, aber sie hatte offenkundig kein großes Zutrauen zu Terrys Glück. Er saß ja schon hinter Gittern, ohne überhaupt erst verhaftet worden zu sein. Das passte nicht gut in ihre Pläne.
»Was mache ich bloß?«, jammerte sie und ging unruhig auf und ab.
Jetzt war ich aufgeschmissen. Ich wollte sie selbst. Ich wollte das Glück meines Bruders. Ich wollte ihn in Sicherheit wissen. Ich wollte ihn von Kriminalität und Gefahr fernhalten. Aber am allermeisten wollte ich sie für mich haben.
»Schreib ihm doch einfach und stell ihm ein Ultimatum?«, schlug ich vor, ein wenig zaghaft, weil ich nicht sicher war, wessen Interesse ich damit diente. Es war mein erster konkreter Vorschlag, und sie stürzte sich förmlich darauf.
»Was meinst du damit? Ihm sagen, dass er zwischen mir und dem Verbrechen wählen muss?«
Die Liebe ist eine Himmelsmacht, wie ich gerne zugebe, aber auch Sucht ist eine. Ich setzte darauf, dass Terrys eigentümliche kriminelle Energie stärker war als die Liebe zu ihr. Es war eine bittere, zynische Wette, die ich mit mir selbst einging, eine Wette, die ich nicht gewinnen konnte.
Da ich oft bei Caroline war, wurde Lionel Potts zum einzigen Verbündeten unserer Familie. Um Terry aus der Anstalt herauszuholen, telefonierte er in unserer Angelegenheit mit diversen Anwaltskanzleien, und als er damit nicht weiterkam, arrangierte er über einen Bekannten, dass der renommierteste Psychiater von Sydney kam und sich mit Terry unterhielt. Und so sieht es aus, wenn Psychiater ihre Dienste anbieten: Sie erscheinen in Freizeithosen und plaudern mit dir wie alte Bekannte. Dieser Psychiater, ein Mann mittleren Alters mit schlaffem, abgespanntem Gesicht,
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