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Vatermord und andere Familienvergnuegen

Vatermord und andere Familienvergnuegen

Titel: Vatermord und andere Familienvergnuegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Toltz
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seinen Hemdsärmeln hervorkriechen sehen, aber ich hatte noch nie gesehen, was er mit dem Rest seines Körpers angestellt hatte. Nun erblickte ich von seinem Adamsapfel an abwärts bis zum Bauchnabel einen grinsenden tasmanischen Tiger, ein zähnefletschendes Schnabeltier, einen gefährlich grollenden Emu, eine Sippe von Koalas, die in ihren geballten Pfötchen Messer schwangen, ein Känguru, dem Blut aus den Mundwinkeln rann und eine Machete aus dem Beutel ragte. Die ganze australische Tierwelt! So schauerlich patriotisch hatte ich meinen Bruder nie gesehen. Als Terry seine Muskeln anspannte, wirkte es, als atme die tollwütige Menagerie; er hatte gelernt, seinen Körper so zu bewegen, dass die Tiere lebendig wurden - ein furchterregender, magischer Effekt. Das Farbengewirr machte mich ganz benommen.
    »Wird ein bisschen voll in dem Zoo hier, was?«, meinte Terry, der ahnte, dass mir das nicht unbedingt gefiel. »Oh, rat mal, wer noch hier ist!«
    Noch bevor ich etwas sagen konnte, hörte ich irgendwo über mir eine vertraute Stimme. Aus einem Fenster im ersten Stock lehnte Harry und grinste so breit, dass sein Mund die Nase fast verschluckte. Dann stand er auch schon unten bei uns im Hof. Harry war schwer gealtert, seit ich ihn das letzte Mal gesehen hatte. Jedes seiner Haare hatte ein düsteres Grau angenommen, und die Züge in seinem müden, zerknitterten Gesicht schienen sich noch tiefer in seinen Schädel gegraben zu haben. Auch sein Hinken hatte sich verschlimmert: Er schleppte sein Bein wie einen Sack Ziegel hinter sich her.
    »Wir machen es wahr, Marty!«, stieß Harry hervor.
    »Machen was wahr?«
    »Die basisdemokratische Verbrechenskooperative! Ein historischer Moment! Ich bin froh, dass du hier bist. Ich weiß, wir können dich nicht zwingen mitzumachen, aber du kannst immerhin Augenzeuge werden, was? Mann, wunderbar, dass dein Bruder draußen ist. Mir ist es echt beschissen ergangen. Auf der Flucht ist man ganz schön einsam.« Harry erzählte, wie er der Polizei entwischen konnte, weil er selbst immer wieder anonyme Tipps zu seinen angeblichen Aufenthaltsorten geliefert hatte. Es gab Razzien, bei denen in Brisbane und Tasmanien Haus für Haus durchsucht worden war. »Die Polizei ist ja so leicht an der Nase rumzuführen. Na ja, jedenfalls hab ich einfach abgewartet, bis Terrys Haftzeit rum war. Und nun sind wir hier! Ist wie im griechischen Senat! Wir treffen uns jeden Nachmittag um 4 Uhr am Swimmingpool.«
    Ich blickte zum Pool, so ein Ding zum Aufstellen, das Wasser schlangengrün. Eine Bierdose schwamm darin. Demokratie hatte offenkundig nichts mit Hygiene zu tun. Der Rasen war nicht gemäht, überall lagen leere Pizzakartons, und alles war von Einschüssen durchsiebt. Ich konnte sehen, wie sich die Nutte in der Küche gelangweilt kratzte.
    Terry grinste sie durchs Fenster an. Ich legte meine Hand auf seine Schulter: »Können wir uns mal kurz unterhalten?«
    Wir gingen auf die andere Seite des Schwimmbeckens. Auf dem Grill schmorten die verkohlten Würstchen in der Sonne.
    »Terry«, sagte ich, »was denkst du dir bloß dabei? Warum gibst du die Kriminellenlaufbahn nicht auf und suchst dir irgendwo einen normalen Job? Diese Verbrechenskooperative wird nie funktionieren, das muss dir doch klar sein. Außerdem ist Harry verrückt«, fügte ich hinzu, obwohl ich selbst nicht so recht davon überzeugt war. In Wahrheit hatte ich, als ich das irre Glitzern in Terrys Augen sah, den Verdacht, dass er der eigentliche Wahnsinnige war und Harry nur ein alter Kasper mit verdrehten Ideen.
    »Und was ist mit dir?«
    »Was soll mit mir denn sein?«
    »Was machst du denn aus deinem Leben? Nicht ich bin der, der in einem Käfig lebt - das bist du. Ich lebe nicht in einer Stadt, die ich hasse. Ich bin nicht derjenige, der sein Potenzial ignoriert. Was ist deine Lebensaufgabe, Bruderherz? Was ist deine Bestimmung im Leben? Du hast in dem Kaff nichts verloren. Du kannst dich nicht ewig da verkriechen. Du kannst Mum nicht vor Dad beschützen, und auch nicht vor dem Tod. Du musst dich von ihnen lösen. Du musst da raus und dein eigenes Leben leben. Mein Weg ist mehr oder weniger vorgezeichnet. Aber du - du hockst da und tust nichts.«
    Das erwischte mich kalt. Der kleine Scheißer hatte recht. Ich war der Gefangene. Ich hatte keine Ahnung, wohin ich gehen oder was ich tun sollte. Ich wollte nicht irgendwo als Lohnsklave enden, aber ich hatte auch nicht das Zeug zum Verbrecher. Außerdem war ich diesen unauflöslichen

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