Vatermord und andere Familienvergnuegen
allenthalben hieß es, das sei zutiefst verkommen, ekelhaft, korrupt und habe den Ruf des Sports irreparabel geschädigt. Im Radio wurden Köpfe gefordert. Man wollte Leute hängen sehen, die Buchmacher ebenso wie die eigentlichen Verräter, die Spieler selbst. Die Politiker riefen nach der Justiz und schworen, der Sache auf den Grund zu gehen. Sogar der Premierminister versprach eine »gründliche und rückhaltlose Aufklärung der Korruption im Sport«.
Für mich war dieser Sportskandal ein bloßes Hintergrundgeräusch. Ich war zu sehr mit meinen eigenen Problemen beschäftigt: Meine Mutter lag im Sterben und kapselte sich ab wie eine wahnsinnige Königin, mein Vater verschwand in einer Flasche, und mein Bruder stürmte mit einer Pistole in der einen Hand und einer Axt in der anderen durchs Leben.
Als Terry und ich uns am darauffolgenden Samstag beim Spiel trafen, trat Australien gegen Pakistan an. Im Vorfeld war diskutiert worden, ob man die Begegnung angesichts des Skandals nicht besser absetzen sollte, doch nach der Devise »Im Zweifel für den Angeklagten« fand das Spiel statt wie geplant. Der Himmel war strahlend blau, und die Luft roch nach Frühling, gerade so ein Tag, der einen in falscher Sicherheit wiegt. Trotzdem spürte ich das Unbehagen, das mich in Menschenmengen ab fünfunddreißigtausend immer beschleicht, deren kollektive Wut sich womöglich schlagartig Bahn brechen könnte.
Als die Spieler aufs Spielfeld kamen, begann die Menge wie verrückt zu buhen, denn es waren ja die Männer, die in den Skandal verwickelt waren. Ein paar Spieler ignorierten das Publikum, während andere den Mittelfinger zeigten, und zwar an beiden Händen. Ein irres Gejohle. Ich liebe Buhrufe, tut doch fast jeder. Einige der Buhs waren voller Wut, andere eher unbeschwert, mit einer Spur von Lachen. Terry neben mir gab keinen Mucks von sich.
Als der Mannschaftskapitän sich anschickte, den Ball zu werfen, wurde nicht nur gebuht, sondern auch gezischt, und einige fingen an, Dinge aufs Spielfeld zu schleudern, Bierdosen etwa oder Schuhe - ihre eigenen Schuhe! Ein Zuschauer sprang über den Zaun, rannte aufs Spielfeld und versuchte, den Kapitän anzugreifen. Dann strömte eine Riesenmenge aufs Feld. Ein Pfiff ertönte, und das Spiel war eindeutig abgeblasen, als Terry zu mir sagte: »Gehen wir.« Ich dachte natürlich, er meinte: »Gehen wir nach Hause«, und war einverstanden, doch bevor ich noch begriff, was er vorhatte, schoss Terry die Haupttribüne hinunter Richtung Kricketoval. Ich versuchte, ihm zu folgen, doch lange Zeit konnte ich ihn in der tobenden Menge, die von allen Seiten zusammengelaufen war und den Abgang der Mannschaft verhinderte, nicht ausmachen. Das war alles sehr atavistisch und nervenaufreibend. Du weißt ja, wie randalierende Mobs sich aufführen.
Dann hörte ich plötzlich ein Geschrei, das ganz anders klang als das Gemurre der wütenden Meute. Ich sah, dass alle auf eine Szene schauten, eine Szene, die sich für immer in meine Retina eingebrannt hat: Terry hatte eine Waffe gezückt und zielte auf den australischen Mannschaftskapitän. Terrys Blick war offen und heiter, sein Gesicht so klar, als habe er gerade in einem kalten Bergbach gebadet. Und, ganz untypisch für ihn, er strahlte Selbstbewunderung aus. Der Mob stand wie erstarrt. Sie wollten weglaufen, doch die Neugier führte dazu, dass sie blieben. Die Neugier gewann. Polizisten bahnten sich gerade einen Weg die Tribüne hinunter, als mein Bruder den Kapitän der australischen Kricketnationalmannschaft in den Bauch schoss.
Wie wir es da rausgeschafft haben, weiß ich nicht. Ich erinnere mich noch, dass Terry mich in der Menge entdeckte und mir zuwinkte. Ich erinnere mich, dass wir rannten. Ich erinnere mich, dass Terry lachte und vorschlug, wir sollten uns trennen, und dass er, kurz bevor er in der Menge untertauchte, sagte: »Mal sehen, ob der Mannschaftskapitän auch seinen eigenen Tod verticken kann!«
Nie zuvor und nie wieder hat es in Australien eine größere Sensation gegeben. Nicht einmal die Föderation hatte so viel Presse bekommen. Und das Schlimmste war, sie hatten auch noch Fotos davon. Irgendwer hatte ein Prachtbild von Terry gemacht, wie er mit leuchtenden Augen dastand, den Arm mit der Waffe ausgestreckt, ein Lächeln im Gesicht, als wolle er dem Kapitän einen freundlichen Ratschlag geben. Jede Zeitung und jeder Fernsehsender brachte dieses Bild. Von nun an war er auf der Flucht. Erst jetzt war Terry wirklich
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