Vatermord und andere Familienvergnuegen
darüber Luft, dass ihm die Menschen ständig und automatisch Ablehnung entgegengebracht hatten, als wäre sein Charakter nichts anderes als der Wurmfortsatz seines Bankkontos. Ihn oder seine Geschichte wollten sie gar nicht kennenlernen. Es war ihnen egal, dass man zwei Jahre vor ihrer Ankunft in unserem Städtchen bei Carolines Mutter einen ganzen Haufen inoperabler Tumore entdeckt hatte, die wie Pflaumen in ihr reiften. Es war ihnen egal, dass die Mutter eine kalte, neurotische Frau gewesen war, die auch durch das Sterben nicht in ein nettes Wesen verwandelt worden war. Sie konnten sich nicht vorstellen, dass ein derart reicher Mann auch über menschliche Qualitäten verfügen könnte, die Wohlwollen verdienten. Er sah sich mit dem übelsten Vorurteil überhaupt konfrontiert: dem Hass auf Reiche. Ein Rassist zum Beispiel, ein Mensch, der Schwarze hasst, hat wenigstens nicht insgeheim den Wunsch, selbst schwarz zu sein. Sein Vorurteil, sei's auch noch so abstoßend und dumm, ist doch wenigstens echt und aufrichtig. Der Hass auf die Wohlhabenden ist ein Paradebeispiel für Futterneid.
»He - außerdem muss ich nie wieder ein enttäuschtes Gesicht sehen! Wenn ich jetzt jemanden hängen lasse, werd ich kein schlechtes Gewissen mehr haben; es sei denn, er stöhnt laut auf. Zur Hölle mit enttäuschten Blicken! Nicht mehr mit mir!«
Schließlich hatte er sich selbst in den Schlaf geredet. Während Lionel schnarchte, als bestehe er nur aus Nase, schlichen wir uns in Carolines Zimmer. Sie hatte beschlossen, Terry zu vergessen, aber sie redete so oft darüber, ihn zu vergessen, dass sie an nichts anderes denken konnte. Sie schwafelte und schwafelte, und sosehr ich auch den weichen Klang ihrer Stimme liebte, ich musste dem ein Ende machen. Ich zündete eine halb gerauchte Zigarette an, die ich in einer Pfütze gefunden und in der Sonne getrocknet hatte. Als ich daran zog, spürte ich, dass sie mich ansah, und als ich aufschaute, sah ich, dass sich ihre Oberlippe leicht wölbte, wie ein Blatt, auf das ein Regentropfen fällt.
Plötzlich senkte sie die Stimme und fragte: »Was wird bloß aus dir werden, Martin?«
»Aus mir? Ich weiß nicht. Hoffentlich nichts Böses?«
»Deine Zukunft«, stieß sie hervor. »Ich darf gar nicht daran denken!«
»Dann lass es doch einfach.«
Sie stürzte auf mich zu und umarmte mich. Dann machte sie sich von mir frei, und wir sahen uns tief in die Augen und atmeten einander in die Nasenflügel. Dann küsste sie mich mit geschlossenen Augen - ich weiß es, denn ich hatte meine weit aufgerissen. Weil sie dann ihre Augen öffnete, machte ich meine schnell zu. Das Ganze war schier unglaublich! Ich ließ meine Hände zu ihren Brüsten wandern, etwas, das ich schon immer hatte tun wollen, selbst als sie noch gar keine hatte. Ihre Hände griffen derweil nach meinem Gürtel und versuchten ungeschickt, ihn zu öffnen. Den Bruchteil einer Sekunde lang glaubte ich, sie wolle mich damit schlagen. Dann kam ich in Fahrt, griff unter ihren Rock und zog ihr den Slip herunter. Wir stürzten aufs Bett wie angeschossene Soldaten. Dann rangen wir miteinander im Bemühen, uns von störenden Kleidungsstücken zu befreien. Plötzlich stieß sie mich weg und schrie: »Was machen wir denn da!«, und bevor ich etwas dazu sagen konnte, lief sie weinend aus dem Zimmer.
Eine halbe Stunde lang lag ich verstört auf ihrem Bett und sog mit geschlossenen Augen den Duft ihres Kissens ein, vertieft in einen Traum, der mich mein Leben lang begleitet hatte und der mir nun entglitt. Sie kam nicht zurück, also zog ich mich an und ging, setzte mich unter meinen Lieblingsbaum, erging mich in Gedanken an Selbstmord und rupfte Gras.
Die ganze nächste Woche ging ich Caroline aus dem Weg. Schließlich war sie es, die hysterisch geworden war, also musste sie den Weg zu mir finden. Am Samstag dann rief Lionel mich völlig aufgelöst an. Er konnte seine Zahnbürste nicht finden, und dass er blind war, hieß noch lange nicht, dass er keine Angst vor Zahnfleischentzündung hatte. Ich ging zu ihm rüber und fand sie in der Kloschüssel schwimmend, gesprenkelt mit Fäkalien. Ich erklärte ihm, so leid es mir tue, dieser Zahnbürste könne er nur noch einen Abschiedskuss geben, aber bitte nicht im wörtlichen Sinne.
»Sie ist weg«, sagte er. »Gestern Morgen wurde ich wach, und eine fremde Person atmete in meinem Zimmer. Weißt du, ich kann Menschen an ihrem Atemrhythmus erkennen. Ich hab mich fürchterlich erschreckt und gebrüllt:
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