Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vatermord und andere Familienvergnuegen

Vatermord und andere Familienvergnuegen

Titel: Vatermord und andere Familienvergnuegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Toltz
Vom Netzwerk:
Bund mit unserer Mutter eingegangen und begann, innerlich dagegen aufzubegehren.
    »Hast du schon mal an die Uni gedacht, Marty?«
    »Ich werde nicht studieren. Ich hab ja nicht mal einen Schulabschluss.«
    »Tja, Scheiße, Junge, irgendwas musst du ja machen! Warum haust du nicht als Erstes endlich aus diesem Drecksnest ab?« »Das kann ich nicht.« »Und warum nicht, Mann?«
    Wider besseres Wissen erzählte ich Terry von dem Versprechen, das ich unserer Mutter gegeben hatte. Ich erklärte ihm, dass mir dadurch die Hände gebunden seien. Dass ich absolut in der Klemme steckte. Was sollte ich tun? Meine Mutter mit einem gefühlskalten Vater allein lassen? Die Frau, die mir während der langen Jahre im Koma vorgelesen hatte? Die Frau, die meinetwegen alles auf sich genommen hatte?
    »Wie geht es ihr denn?«, fragte Terry.
    »Ihr geht's gut, den Umständen entsprechend«, sagte ich, aber das war gelogen. Der nahe Tod hatte eine seltsame Wirkung auf sie. Manchmal kam sie nachts in mein Zimmer geschlichen und las mir vor. Ich konnte das nicht ertragen. Der Klang ihrer Vorlesestimme erinnerte mich an jenes andere Gefängnis, den lebenden Leichnam, ans Koma. Manchmal wurde ich mitten in der Nacht durch heftiges Schütteln aus dem Tiefschlaf gerissen. Das war meine Mutter, die sich vergewissern wollte, dass ich nicht wieder ins Koma gefallen war. Ich kam schon gar nicht mehr zum Schlafen.
    »Was wirst du tun?«, fragte Terry. »Dort bleiben, bis sie tot ist?«
    Das war eine schreckliche Vorstellung. Dass sie eines Tages sterben würde, genauso wie dass ich diesen Pakt eingegangen war, der mich nun erstickte. Wie konnte ich so weitermachen, ohne den hässlichsten aller Gedanken zuzulassen: »He, Mum, nun stirb endlich!«
    Terry riet mir davon ab, ihn noch mal in seinem Haus zu besuchen. Auf sein Drängen hin trafen wir uns entweder bei Kricketoder bei Rugbyspielen, je nach Saison. Während dieser Treffen informierte Terry mich über die Aktivitäten der basisdemokratischen Verbrechenskooperative: dass sie permanent ihren Modus Operandi änderten und niemals zweimal denselben Coup durchführten, und wenn doch, dann auf ganz unterschiedliche Weise. So hatten sie zum Beispiel einmal zwei Banken hintereinander ausgeraubt. Den ersten Überfall begingen sie kurz vor Schalterschluss: Mit Skimasken über dem Kopf stürmten sie herein und zwangen Angestellte und Kunden, sich mit dem Gesicht auf den Boden zu legen. Den nächsten begingen sie mittags: Sie trugen Gorillamasken, sprachen untereinander nur Russisch und zwangen Angestellte wie Kunden, sich mit erhobenen Händen in einem Kreis aufzustellen. Sie waren schnell. Sie waren effizient. Aber vor allem waren sie anonym. Es war Harrys Idee gewesen, die Gang eine Reihe von Sprachen lernen zu lassen - nicht den ganzen Kladderadatsch, nur das, was man für einen Überfall benötigte: »Schnapp dir das Geld«, »Sag ihnen, sie sollen die Flossen hochnehmen«, »Nichts wie weg hier«, so was in der Art. Harry war ein echtes Genie, wenn es darum ging, Spuren zu verwischen. Es war ein Rätsel, wie er so lange im Gefängnis hatte sitzen können. Er spürte auch ein paar Polizeispitzel auf und versorgte sie mit falschen Informationen. Und die ein oder zwei Gegner aus Harrys alten Tagen, die sich die Verbrechenskooperative vom Hals schaffen musste, wurden dann angegriffen, wenn sie am verwundbarsten waren: wenn sie mehr als zwei Eisen im Feuer hatten.
    Das einzige Problem war, dass die Etablierung der basisdemokratischen Verbrechenskooperative, die Erfüllung seines Traums, Öl in das Feuer von Harrys Weltklasseparanoia goss. Nie drehte er einem den Rücken zu! Entweder drückte er sich mit dem Rücken an einer Wand entlang, oder er drehte sich, wenn er in offenem Gelände war, permanent wie ein Kreisel. In Menschenmengen geriet er in Panik, und wenn er im Gedränge feststeckte, bekam er regelrechte Krampfanfälle. Am lustigsten war es, wenn er im Freien pinkeln musste: Harry stellte sich nie hinter einen Baum, weil sein Rücken dann ungedeckt war. Stattdessen lehnte er sich mit dem Rücken gegen den Baum, die eine Hand an seinem Schwanz, in der anderen eine 45er. Und zu Hause zog er Stolperschnüre mit Glöckchen durch sein Zimmer, sodass man nicht eintreten konnte, ohne Alarm auszulösen. Jeden Tag sah er die Zeitungen durch, ob sein Name erwähnt wurde. Mit weit aufgerissenen Augen wühlte er sich hektisch durch die Seiten.
    »Unterschätze nie die Bedeutung der aktuellen Nachrichten«,

Weitere Kostenlose Bücher