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Vatermord und andere Familienvergnuegen

Vatermord und andere Familienvergnuegen

Titel: Vatermord und andere Familienvergnuegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Toltz
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jagte uns durchs Haus. Ich erklärte mir das als seinen bizarren Versuch, mit der Krebserkrankung meiner Mutter klarzukommen: Er tat so, als wäre sie ein krankes Kind und er der Clown, der sie aufheitern sollte. Sie hatte meinem Vater schließlich die Wahrheit gestanden, und er war danach immerhin teilnahmsvoll genug, sie nicht mehr zu schlagen, wenn er betrunken war, doch ihr Krebs, die Behandlung und der Kreislauf aus kurzfristiger Besserung und erneuter Verschlechterung hatten ihn immer labiler werden lassen. Wenn mein Vater uns nun mit seinen giftigen Händen bedrohte, starrte mich meine Mutter immer lange und durchdringend an, bis ich mir wie ein Spiegel vorkam, in dem die Sterbenden ihren eigenen Tod sehen.
    Das war unser trautes Heim: Meine Mutter welkte dahin, mein Vater wurde zu einem Überträger tödlicher Gifte, und Terry wechselte aus dem Irrenhaus hinüber ins Gefängnis; ein zuvor nur im übertragenen Sinne vergiftetes Milieu wurde nun eines im wahrsten Sinne des Wortes.
     
    Als Terry schließlich aus der Jugendstrafanstalt entlassen wurde, hatte ich wider besseres Wissen die Hoffnung, er wäre resozialisiert und hätte vielleicht sogar den Wunsch, nach Hause zu kommen und sich mit uns um unsere sterbende Mutter zu kümmern. Ich fuhr zu einer Adresse, die er mir telefonisch mitgeteilt hatte. Dazu musste ich mit dem Bus die vier Stunden bis nach Sydney fahren und dann mit einem anderen Bus eine weitere Stunde bis zu einem Vorort im Süden. Es war eine ruhige Gegend mit viel Grün; Familien führten ihre Hunde aus oder wuschen Autos, ein Zeitungsjunge zog einen gelben Karren die Straße entlang und warf mit lässiger und bewundernswert routinierter Hand die Zeitungen so, dass jede von ihnen mit der Titelschlagzeile nach oben auf der Türmatte vor der Haustür zu liegen kam. In der Auffahrt des Hauses, in dem Terry wohnte, parkte ein beigefarbener Volvo-Kombi. Ein Sprenkler befeuchtete träge einen makellos gepflegten Rasen. Ein silbernes Jungenfahrrad lehnte an den Stufen, die zur vorderen Veranda hinaufführten. Konnte das richtig sein? War Terry versehentlich von einer Familie der unteren Mittelschicht adoptiert worden?
    Eine Frau im rosa Nachthemd und mit Lockenwicklern im braunen Haar machte mir die Tür auf. »Ich bin Martin Dean«, stotterte ich unsicher, als wäre ich es eventuell doch nicht. Ihr freundliches Lächeln verschwand so schnell, dass ich mich fragte, ob ich es mir nur eingebildet hatte. »Die sind hinten«, sagte sie. Als die Frau mich einen dunklen Flur entlangführte, schüttelte sie zusammen mit den Lockenwicklern gleich ihr gesamtes Haar ab - es war eine Perücke. Ihr echtes Haar, zu einem festen Knoten gebunden und mit Haarklammern festgesteckt, war leuchtend rot. Sie warf auch das rosa Nachthemd ab und enthüllte einen kurvenreichen, von schwarzer Wäsche umschmeichelten Körper, den ich gerne als Kissen mit nach Hause genommen hätte. Als ich ihr in die Küche folgte, sah ich, dass Wände, Schränke und Gardinen mit Einschusslöchern übersät waren; Sonnenlicht drang durch die akkuraten kleinen Kreise und durchzog den Raum mit goldenen Streifen. Eine plumpe, halb nackte Frau saß, den Kopf in den Händen vergraben, am Tisch. Ich ging an ihr vorbei hinaus auf den Hof. Terry drehte Würstchen auf einem Grill um. Eine Schrotflinte lehnte an dem Bretterzaun neben ihm. Zwei Männer mit kahl rasierten Schädeln lagen in Liegestühlen und tranken Bier.
    »Marty!«, stieß Terry hervor. Er kam auf mich zu und umarmte mich fest. Den einen Arm um meine Schultern gelegt, machte er mich voller Freude mit den anderen bekannt: »Jungs, das hier ist mein Bruder Marty. Er hat den ganzen Grips geerbt. Ich hab nur das, was davon noch übrig war. Marty, das hier ist Jack, und der schüchtern wirkende Kerl da drüben ist Fleischaxt.«
    Ich grinste die kräftig gebauten Männer unsicher an und dachte, dass man zum Fleischzerteilen nur selten eine Axt braucht. Als ich meinen muskulösen, durchtrainierten Bruder ansah, wölbte ich reflexartig die Brust vor. Irgendwann während der letzten Jahre war mir aufgefallen, dass ich mir einen leichten Buckel zugelegt hatte, sodass ich aus einiger Entfernung wie ungefähr dreiundsiebzig aussah.
    »Und nun das große Finale...«, sagte Terry.
    Er zog sein Hemd aus, und der Schock warf mich beinahe um. Terry war dem Tattoo-Wahn verfallen! Mein Bruder war von Kopf bis Fuß ein Wirrwarr verrückter Motive. An Besuchstagen hatte ich bereits Tätowierungen unter

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