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Vatermord und andere Familienvergnuegen

Vatermord und andere Familienvergnuegen

Titel: Vatermord und andere Familienvergnuegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Toltz
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Feierabend, und wenn der nicht zu lange dauert, können Sie ihn fünf Minuten lang sprechen, ehe er nach Hause geht.«
    »Soll uns recht sein, gute Frau«, sagte Harry zwinkernd. Ich führte ihn zu einem Stuhl im Vorzimmer.
    Wir warteten.
    Harry zitterte und hatte die Hände tief in seinem Mantel vergraben, was mich beunruhigte, denn ich wusste ja, was er darunter stecken hatte. Er bleckte die Zähne, als hätte ihn jemand vor zwölf Stunden aufgefordert, für ein Foto zu lächeln, und immer noch nicht auf den Auslöser gedrückt.
    »Alles in Ordnung?«, fragte ich.
    Ich sah, dass seine Paranoia alle Synapsen feuern ließ. Seine Augen scannten den Raum, während sein Kopf vom Eingang zum Korridor hin- und herschwenkte. Gegen Mittag fiel mir auf, dass Harry sich die Finger in die Ohren steckte. Als ich ihn darauf ansprach, murmelte er was von irgendeinem Krach. Ich konnte nichts hören. Einen Sekundenbruchteil später gab es einen lauten Knall. Ich reckte den Hals und konnte auf dem Flur einen jungen Mann sehen, der wütend auf einen Fotokopierer eintrat. Ich starrte Harry ungläubig an, und dann fiel mir wieder ein, dass er bei unserem ersten Besuch im Gefängnis erwähnt hatte, telepathische Begabungen seien bei Berufskriminellen stark ausgeprägt. Damals hatte er behauptet, Langzeitparanoia führe bei diesen Leuten zu einem gewissen Maß an außersinnlicher Wahrnehmung oder so ähnlich. Ob das stimmte? Ich hatte ihn damals nicht ernst genommen, aber jetzt? Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte. Ich musterte Harrys Gesicht. Die Selbstgefälligkeit, mit der er mir zunickte, war mit bloßem Auge kaum wahrzunehmen.
    Um fünf vor fünf wurden wir ins Büro des Verlegers vorgelassen. Alles darin gab einem das Gefühl, klein und unwichtig zu sein. Es war groß, ruhig, klimatisiert und frisch mit Teppichboden ausgelegt, und statt eines Fensters verfügte es über eine Wand aus Glas, die man nicht öffnen konnte, um hinauszuspringen, selbst wenn man es noch so sehr gewollt hätte. Man konnte allenfalls das Gesicht an die Scheibe drücken und vom Fallen träumen. Der Verleger guckte, als habe ihm jemand gesagt, wenn er jemals lächele, würde er alles verlieren, wofür er so hart gearbeitet hatte.
    »Sie haben ein Buch geschrieben. Ich verlege Bücher. Sie denken, da wären wir doch ein tolles Gespann. Sind wir nicht. Was Sie da haben, muss mich schon so richtig umhauen - und mich haut so schnell nichts um«, erklärte er.
    Harry wollte, dass der Verleger das Manuskript schnell überflog, während wir warteten. Der Verleger lachte ohne ein Lächeln. Harry brachte den Spruch mit dem verpassten Jackpot, der direkt auf das Herz des Mannes zielte - das in seiner rechten Gesäßtasche. Der Verleger nahm das Manuskript und blätterte es durch, wobei er mit der Zunge schnalzte, als locke er seinen Hund. Er stand auf, trat ans Fenster und las, an die Scheibe gelehnt, weiter. Ich hatte Angst, das Glas könne springen und er nach unten auf die Straße stürzen.
    Nach einer Minute warf er uns das Manuskript vor die Füße, als habe er sich daran die Hände schmutzig gemacht. »Soll das ein Witz sein?« »Ich versichere Ihnen, das ist es nicht.«
    »Das wäre verlegerischer Selbstmord. Sie leiten die Leser zu Straftaten an!«
    »Warum erzählt er mir, was in meinem Buch steht?«, fragte Harry mich.
    Ich zuckte die Achseln.
    »Raus hier, bevor ich die Polizei rufe!«, brüllte uns der Verleger an.
    Im Aufzug nach unten zitterte Harry vor Wut. »Dieser Drecksack«, murmelte er.
    Ich fühlte mich ähnlich frustriert, und ich verstand auch nicht viel vom Verlagswesen, aber ich versuchte, Harry begreiflich zu machen, dass wir mit gewissen Rückschlägen rechnen mussten. »Das ist ganz normal. Es wäre auch zu viel verlangt gewesen, dass gleich beim ersten Verlag alle Feuer und Flamme sind.«
    Im ersten Stock hielt der Aufzug an. »Warum halten wir hier?«, schrie Harry mich an.
    Die Türen glitten auf, und ein Mann trat in den Aufzug. »Kannst du die eine Scheißetage nicht zu Fuß laufen?«, brüllte Harry, und der Mann konnte gerade noch hinausspringen, ehe die Türen wieder zugingen.
    Draußen war es nicht möglich, ein Taxi zu bekommen. Es war wirklich nicht ratsam, sich mit einem steckbrieflich Gesuchten länger als nötig auf der Straße herumzutreiben, doch offenbar war keiner von uns in der Lage, durch den bloßen Wunsch ein Taxi herbeizuzaubern.
    »Sie haben uns entdeckt«, flüsterte Harry.
    »Was?«
    »Sie sind hinter mir

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