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Vatermord und andere Familienvergnuegen

Vatermord und andere Familienvergnuegen

Titel: Vatermord und andere Familienvergnuegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Toltz
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brütenden Sonne. Als ich in das grelle Licht blinzelte, konnte ich Harrys Kopf ausmachen. Er wirkte riesig. Als er sich dann in den Schatten schob, sah ich, dass er mich anstrahlte. Er setzte sich auf die Kante meines Liegestuhls, schloss mich fest in die Arme und bedeckte mich mit Küssen. Er küsste mich sogar auf den Mund, was abscheulich war, doch ich nahm es in dem Geiste hin, in dem es gemeint war.
    »Du hast mir einen wundervollen Dienst erwiesen, Martin. Das werde ich dir nie vergessen.«
    »Es hat einen neuen Anschlag gegeben«, sagte ich.
    »Ja, hab ich im Radio gehört. Der blöde Hund.«
    »Irgendwas von ihm gehört? Irgendeine Vorstellung, wo er stecken könnte?«
    Harry schüttelte kummervoll den Kopf: »Er ist jetzt ein regelrechter Star. Er wird sich den Bullen nicht mehr lange entziehen können. Ein berühmtes Gesicht macht einen lausigen Flüchtling.«
    »Was meinst du, ob er sich widerstandslos ergeben wird, falls sie ihn stellen?«
    »Eher unwahrscheinlich«, sagte Harry, nahm sein Manuskript in die Hand und tätschelte es. »Na komm. Sorgen wir auch für ein bisschen Trubel.«
     
    Einen Verleger zu finden, würde nicht leicht sein, und das nicht nur des heiklen Inhalts wegen. Harry war ein flüchtiger Krimineller. Wenn wir mit Harrys Namen fett auf dem Manuskript zu einem Verlag gehen würden, konnten wir uns mehr als eine bloße Abfuhr einhandeln. Durchaus möglich, dass sie die Polizei riefen. Nach einigem Hin und Her konnte ich Harry davon überzeugen, seinen Namen so lange wie nur irgend möglich aus dem Spiel zu lassen; bis kurz vor der Drucklegung würden wir den Namen des Autors geheim halten. Doch Harry wollte auf jeden Fall mitkommen und mitentscheiden, welcher Verlag seines Werkes am ehesten würdig war - für mich ein Ding der Unmöglichkeit. Nach ihm wurde gefahndet; er spielte zwar nicht in Terrys Liga, aber die Polizei vergisst nicht, nach entflohenen Verbrechern Ausschau zu halten, nur weil die Presse nicht so wild auf sie ist. Noch dazu war Harrys Bein mittlerweile so schlimm, dass er kaum laufen konnte. Leider konnte nichts, was ich sagte, ihn davon abbringen, sein Vermächtnis höchstpersönlich dem Druck zuzuführen. Es war viel zu bedeutend, um es in meine unerfahrenen Hände zu legen.
    Am nächsten Tag zogen wir los. Mit seinem Hinken und seinem struppigen Bart erinnerte Harry an einen Schiffbrüchigen. Ich schlug vor, er solle sich rasieren und etwas präsentabler machen, aber er beharrte darauf, dass Autoren immer den Eindruck erwecken, sie seien nicht gesellschaftsfähig, daher sei es sogar zu unserem Vorteil, dass er derart beschissen aussehe. Ungeachtet der heißen Sonne zog er einen abgewetzten Mantel über, in dessen Innentasche er eine abgesägte Schrotflinte schob. Ich sagte nichts dazu. »Also, dann mal los, hm?« Ich bot ihm meine Dienste als menschliche Gehhilfe an, und er stützte sich mit seinem ganzen Gewicht auf mich, wobei er sich wortreich entschuldigte. Ich hatte das Gefühl, eine Leiche mit mir herumzuschleppen.
    Das erste Verlagsgebäude sah so aus, als müsse man schon etwas dafür bezahlen, es überhaupt betreten zu dürfen. Die Lobby war voller Spiegel, die einem bewiesen, dass man ein Penner war. Wir fuhren im Aufzug hoch in den zwanzigsten Stock, zusammen mit zwei Anzügen, in denen Männer gefangen waren. Die Verlagsräume nahmen ein ganzes Stockwerk ein. Der obere Teil des Kopfs der Empfangsdame fragte uns, ob wir einen Termin hätten.
    Das bisschen, das wir von ihrem Gesicht sehen konnten, lächelte grausam, als wir mühsam ein Nein herauswürgten.
    »Leider ist er heute zu beschäftigt, um Sie zu empfangen«, sagte sie in einem Ton, der keine Diskussion zuließ. Harry legte los.
    »Passen Sie mal auf. Sie werden sich schwarzärgern, wenn Sie diese Gelegenheit verstreichen lassen. Das ist wie mit diesem Verlag, der dieses berühmte Buch abgelehnt hat, von dem sich dann Unmengen verkauft haben. Wie hieß das Buch doch gleich, Martin? Du weißt doch, dieses Buch, das erst abgelehnt worden ist und sich dann zigtausendmal verkauft hat?«
    Ich hatte keine Ahnung, hielt es aber für am besten, mitzuspielen. Ich nannte den größten Bestseller aller Zeiten.
    »Die Bibel, die King-James-Fassung.«
    »Ja, genau, das war's! Die Bibel! Die Empfangsdame wollte den Apostel nicht vorlassen, obwohl er da eine Goldmine in Händen hielt!«
    »Na dann, in Gottes Namen«, seufzte die Empfangsdame. Sie schaute in ihren Terminkalender. »Er hat einen Termin gegen

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