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Vatermord und andere Familienvergnuegen

Vatermord und andere Familienvergnuegen

Titel: Vatermord und andere Familienvergnuegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Toltz
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her!«
    »Wer?«
    »Alle!«
    Er verlor die Beherrschung. Er versuchte, sich hinter mir zu verstecken, doch die Menge umschloss uns von allen Seiten. Er umkreiste meinen Körper wie ein Hai. Mit seinen ungeschickten Versuchen, unverdächtig zu erscheinen, zog er erst recht die Aufmerksamkeit auf sich.
    »Da!«, schrie er und schubste mich in den fließenden Verkehr, vor ein herannahendes Taxi. Autos bremsten und hupten wild, während wir hineinsprangen.
    Danach sprach ich ein echtes Machtwort. Harry sollte zu Hause bleiben. Ich weigerte mich rundheraus, ihm weiterhin zu helfen, sollte er darauf bestehen, mich zu begleiten. Erst begehrte er auf, aber nur halbherzig. Die jüngste Erfahrung hatte sein Gesicht um siebzehn Jahre altern lassen. Das sah er sogar selbst.
     
    Die folgenden Wochen waren ein Albtraum. Ich stolperte von Verlag zu Verlag, und meine Erinnerung daran ist schemenhaft. Bei allen das gleiche Bild. Ich fasste es nicht, wie still es überall war. Überall sprach man nur im Flüsterton, und so wie alle auf Zehenspitzen herumliefen, hätte man meinen mögen, in einem geheiligten Tempel zu sein, wären da nicht die Telefone gewesen. Die Empfangsdamen zeigten alle das gleiche herablassende Hohnlächeln. Oft saß ich in Gesellschaft anderer Autoren im Wartezimmer. Auch die waren alle gleich. Alle verströmten sie Furcht und Verzweiflung und wirkten so ausgehungert, als würden sie die Rechte an ihren Kindern für eine Hustenpastille weggeben, die armen Schweine.
    In einem der Verlage, in dem ich zwei ganze Tage wartete, ohne dass mir eine Audienz beim Sonnenkönig gewährt wurde, tauschten ein anderer Autor und ich Manuskripte, um uns die Zeit zu vertreiben. Seine Geschichte spielte in einer Kleinstadt und handelte von einem Arzt und einer schwangeren Lehrerin, die sich jeden Tag auf der Straße begegneten, aber zu introvertiert waren, um Hallo zu sagen. Sie war kaum zu verstehen. Sie bestand praktisch nur aus Beschreibungen. Als er sich auf Seite 85 herabließ, einen stümperhaften Dialog zwischen den beiden Hauptfiguren einzufügen, hob sich meine Stimmung beträchtlich. Es war wirklich eine Zumutung, sich durch seinen Roman quälen zu müssen, aber er saß direkt neben mir, also musste ich schon aus Höflichkeit durchhalten. Hin und wieder wechselten wir kurze Blicke, um zu sehen, wie der andere vorankam. Gegen Mittag schließlich drehte er sich zu mir um und sagte: »Ein eigenartiges Buch. Ist es eine Satire?«
    »Nein, keineswegs. Ihres ist auch interessant. Sind die Figuren stumm?«
    »Nein, keineswegs.«
    Wir gaben uns unsere Manuskripte zurück und schauten auf unsere Armbanduhren.
    Jeden Morgen nahm ich die vierstündige Busfahrt nach Sydney auf mich, wo ich dann den ganzen Tag über von Verlag zu Verlag lief. Die meisten Verleger lachten mir ins Gesicht. Einer kam dafür sogar um seinen Schreibtisch herum, weil mein Gesicht ihm zu weit weg dafür war. Es war deprimierend. Außerdem gefiel es ihnen nicht, dass ich ihnen den Namen des Autors verschweigen würde, bis das Buch in Druck ginge. Das machte sie misstrauisch. Viele hielten das Ganze für ein Komplott, mit dem man sie in die Scheiße reiten wollte. Man kann sich kaum einen paranoideren, fantasieloseren und denkfauleren Haufen vorstellen als diese aalglatten Krämerseelen. Diejenigen von ihnen, die das Manuskript ernst nahmen und nicht für einen Scherz oder eine Falle hielten, schmissen mir die schlimmsten Sachen an den Kopf. Das Buch sei eine Abscheulichkeit und ich ein gemeingefährlicher, verantwortungsloser Anarchist, weil ich versuchte, es an den Mann zu bringen. Bevor sie mich rauswarfen, erklärten sie mir alle, das Buch werde nie veröffentlicht werden, nicht zu ihren Lebzeiten. Was vermutlich heißen sollte, dass nach ihrem Ableben die Welt ruhig vor die Hunde gehen konnte.
    Harry nahm das nicht eben gelassen hin. Er bekam Wutanfälle und warf mir vor, faul zu sein oder aber die Verhandlungen durch meine Unbeholfenheit zu sabotieren. Das tat weh. Ich riss mir den Arsch auf, um sein Buch an den Mann zu bringen, aber es war das Buch, das sie nicht mochten, nicht mich. Nach der zehnten Ablehnung verfluchte er dann nicht mehr mich, sondern das australische Verlagswesen. »Vielleicht müssen wir damit nach Amerika. Redefreiheit ist da drüben gerade schwer angesagt. Die haben da etwas, das sich >Recht auf freie Presse< nennt. Gesetzlich festgelegt, per Verfassungszusatz. Neue Ideen werden da begrüßt und dürfen sich entfalten. Hier ist

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