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Vatermord und andere Familienvergnuegen

Vatermord und andere Familienvergnuegen

Titel: Vatermord und andere Familienvergnuegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Toltz
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Autor, sagte ich, der im Moment noch ungenannt bleiben solle, suche einen geeigneten Verlag für sein bahnbrechendes Meisterwerk. Aufgrund der sensiblen Natur des Themas könne ich das Manuskript bedauerlicherweise nicht hierlassen, aber wenn er auch nur einen Hauch von Neugier besitze und nicht eine der sensationellsten Chancen seines Lebens verpassen wolle, müsse er auf der Stelle einen Blick auf diese Seiten werfen. Ich würde so lange warten. Ich hatte diesen Text schon so oft aufgesagt, dass ich ihn runterbetete, ohne nachzudenken. Die ganze Zeit über stierte er mich mit einem glasigen Blick an und grinste sein Alter-Bock-Grinsen, als denke er an Schaumbäder.
    »Tja, dann wollen wir doch mal einen Blick reinwerfen, was?«
    Er schlug die erste Seite auf. Durch das Fenster hinter ihm konnte ich sehen, wie sich ein Zug in den Bahnhof schlängelte. Der Verleger blätterte zur Mitte des Manuskripts, kicherte über irgendwas und legte es dann hin.
    »Eine Satire, was? Ich liebe gute Satiren. Es ist gut geschrieben und recht lustig, aber um ehrlich zu sein, nicht gerade das, was ich so verlege.«
    Die Hand, mit der ich die Pistole umklammerte, war schweißnass.
    »Trotzdem danke, dass Sie vorbeigekommen sind.«
    Ich rührte mich nicht. Eine Minute verstrich schleppend. Er signalisierte mir mit den Augen, dass ich gehen solle. Ich ging nicht.
    »Hören Sie«, sagte er. »Bei mir läuft's gerade nicht so gut. Ich könnte es mir momentan nicht mal leisten, meine eigene Todesanzeige zu veröffentlichen. Warum verduften Sie also nicht einfach?«
    Ich rührte mich nicht. Es war, als sei die Luft im Zimmer erstarrt und hielte mich dort fest, wo ich stand.
    »Wissen Sie, was ich gerade gelesen habe, als Sie hereinkamen? Nein? Nichts, rein gar nichts! Ich habe nur so getan. Es sollte nach Arbeit aussehen. Erbärmlich, oder?« Als ich auch weiterhin nicht mal sichtbar atmete, sagte er: »Schauen Sie mal hier.«
    Ein Stapel Bücher türmte sich neben seinem Schreibtisch, er nahm das oberste und reichte es mir. Ich warf einen Blick darauf. Es war ein Biologiebuch.
    »Früher in London habe ich für die Boulevardpresse gearbeitet. Lang, lang ist's her.« Er kam um den Tisch herum, setzte sich auf die Schreibtischkante und ließ den Blick durch den Raum wandern. »Das hier ist ein kleiner Verlag. Nichts besonders Großartiges. Wir veröffentlichen wissenschaftliche Lehrbücher. Physik, Biologie, Chemie, die üblichen Verdächtigen. Meine Frau und ich haben uns den Laden fifty-fifty geteilt. Ihr Geld, geerbt von ihrem Vater, und mein Geld, unter Blut und Tränen angespart. Zehn Jahre betreiben wir also unseren kleinen Verlag, und sicher, wir hatten unsere häuslichen Auseinandersetzungen, und ich hab mir ein paar Seitensprünge erlaubt, aber ganz diskret, was ist also so schlimm daran? Und jetzt sehen Sie mal hier. Weiden Sie Ihr Auge an dem Instrument meiner Vernichtung.« Er wies auf das Biologiebuch in meiner Hand und sagte: »Seite 95.«
    Ich schlug die Seite auf. Sie zeigt eine Darstellung des menschlichen Körpers, die sämtliche Körperteile benannte und in ihrer Funktion erklärte. Es sah aus wie die Gebrauchsanweisung für eine Stereoanlage.
    »Und, fällt Ihnen etwas Ungewöhnliches auf?«, fragte er.
    Auf den ersten Blick nicht. Es sah wie ein recht durchschnittlicher menschlicher Körper aus. Gut, es fehlten ein paar gängige Elemente wie Schwimmringe, Falten und Schwangerschaftsstreifen, aber ansonsten war die Darstellung relativ genau und vollständig.
    »Das hat sie absichtlich gemacht. Sie wusste, dass ich zu dicht sein würde, um es vor der Drucklegung noch mal zu überprüfen.«
    »Ich sehe nichts.«
    »Das Gehirn! Sehen Sie doch mal, wie sie das Gehirn bezeichnet!«
    Ich guckte hin. Da stand: »Der Hoden«. Und dort, wo die Hoden waren, stand nicht nur: »Das Gehirn«, sondern »Stanleys Gehirn«. Jetzt, da er darauf hingewiesen hatte, sah ich es: Praktisch jedes Organ dieses Männerkörpers war eine Kritik an Stanley - Alkoholkonsum, Spielsucht und Fremdgeherei. Ob Herz, Leber, Lunge, Darm, was du willst, alles war mit Begleittexten versehen, die seinen exzessiven Alkoholkonsum, seine ungesunde Ernährung, seine Aggressivität und die klägliche Figur, die er im Bett machte, beschrieben. Es nahm gar kein Ende. Ich sah natürlich ein, dass das für Schulkinder keine geeignete Lektüre war.
    »Sie hat mich sabotiert. Und das alles nur, weil ich mit der Kellnerin von unserer Eckkneipe geschlafen habe. Gut, das

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