Vatermord und andere Familienvergnuegen
»Stanley...«, begann ich.
»Das ist genial! Das ist optimal für uns! Sagen Sie Harry, er soll Geduld haben - in ein, zwei Jahren werden wir die Wahrheit durchsickern lassen. Er wird berühmt werden.«
»In ein, zwei Jahren?«
»Klar, warum etwas überstürzen?«
»Sie haben es immer noch nicht kapiert! Harry wird denken, ich stecke dahinter. Er wird denken, ich hätte ihn geleimt. Das Buch war als sein Vermächtnis an die Welt gedacht! Du musst ihm das erklären! Du musst ihm erklären, dass es allein dein Fehler war, dass du dich geirrt hast! Sonst - er wird uns kaltmachen!«
»Na und? Soll er doch kommen. Ich hab keine Angst! Wenn ich schon sterben muss, dann für ein Buch. Ja, das gefällt mir! Und zwar für dieses Buch! Genau! Schaffen Sie ihn nur her!«
Stanley stieß die Faust in die Luft wie einen Preis, den er gerade gewonnen hatte. War das noch zu toppen? Es war die schlimmstmögliche Krisensituation, und ich befand mich in Gesellschaft eines Mannes, der ausgerechnet jetzt etwas gefunden hatte, wofür es sich zu sterben lohnte. Er sah widerwärtig zufrieden aus, wie er so mit sich im Reinen schien. Ich hätte ihm zu gern die Lippen aus dem Gesicht gerissen.
Ich nahm ein Taxi zu Harrys Haus und dachte, dass ich ganz, ganz behutsam vorgehen musste. Harry liebte mich und ich ihn, aber das hieß nicht, dass er mir nicht auch eine Kugel zwischen die Augen jagen könnte. Ist das in der Liebe nicht immer so? Ich kurbelte das Taxifenster herunter. Die Luft draußen war unnatürlich still, wie in einem fensterlosen Raum. Kein Lüftchen regte sich. Es war, als wäre der Deckel auf der Welt hermetisch dicht gemacht worden und wir allesamt eingeschlossen.
Ich machte das geheime Klopfzeichen und danach das nicht so geheime, das jeder machen kann. Ich brüllte seinen Namen. Ich brüllte eine Entschuldigung. Die Brüllerei hätte ich mir sparen können - er war gar nicht zu Hause. Was nun? Ein Taxi rauschte vorbei, ich winkte es ran, fuhr zurück in die City und wanderte ziellos durch die Straßen, ganz in meinem inneren Aufruhr gefangen. Alles war so geschäftig, mir schwirrte der Kopf, und ich wunderte mich, dass niemand außer mir so orientierungslos wirkte. Ein wenig traurig und einsam vielleicht, aber alle wussten, wo sie hinwollten. In der irrationalen Hoffnung, ihnen vielleicht eine gewisse Anteilnahme zu entlocken, stieß ich absichtlich mit anderen Menschen zusammen. Wenn man mitten in einer persönlichen Krise durch die Straßen läuft, können Stadtgesichter ungemein grausam und gleichgültig wirken. Es ist deprimierend, dass kein Mensch stehen bleibt und deine Hand hält.
Ich ging in ein Pub, das Park View, setzte mich an die Bar und machte mir keine Gedanken darüber, dass es weder einen Park noch eine Aussicht darauf gab. Ich bestellte ein Bier. Im Radio lief ein Schlager, ein nettes, fröhliches Liebeslied, das so gar nicht zu meiner Stimmung passte. Ich stürzte mein Bier hinunter. Das Pub war leer bis auf zwei betrunkene alte Männer, die sich über irgendeinen Gazza stritten; einer der Alten war der Ansicht, Gazza stehe unter dem Pantoffel seiner neuen Ollen, während der andere meinte, Gazza habe sie fest an der Kandare. So oder so lief es darauf hinaus, dass Gazza nicht mehr so häufig wie früher in die Kneipe kam, und ohne ihn war es einfach nicht dasselbe. Ich nickte traurig und starrte in mein leeres Glas.
Dann kamen die Radionachrichten, und meine Ohren waren sofort in Alarmbereitschaft: Der flüchtige Verbrecher Terry Dean hatte ein skandalöses Buch geschrieben, in dem er angehende Kriminelle unterwies, ungesetzliche Handlungen zu begehen. Die jüngste Entwicklung in dieser Story: Der Verleger des Handbuchs des Verbrechens war festgenommen worden.
So! Stanley war festgenommen worden! Gut so, fand ich. Zumindest war er dadurch eine Weile vor Harry sicher. Ich ging davon aus, dass sie ihn nicht allzu lange festhalten konnten. Wenn die Bullen hinter jemandem her sind, den sie einfach nicht zu fassen kriegen, tröstet es sie, wenn sie wenigstens jemanden aus seinem Umfeld festnehmen können.
Während ich noch über Stanley im Knast nachdachte und über die Wahrscheinlichkeit, dass ich als der verbürgte Herausgeber und Lektor der Nächste auf ihrer Liste sein könnte, hörte ich die jüngste Meldung: Der gesuchte Kriminelle Harry West war, bis an die Zähne bewaffnet, auf die Harbour Bridge geklettert und drohte damit, herunterzuspringen. Diese Nachricht löste bei mir eine
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