Vatermord und andere Familienvergnuegen
Eingangstür platzte, stand er am Schreibtisch und sagte gerade ins Telefon: »Nein, er kann keine Interviews geben. Das ist unmöglich. Weil er auf der Flucht ist, deswegen.«
Er legte auf und strahlte mich triumphierend an. »Das Telefon geht ununterbrochen! Es ist der Wahnsinn! Es ist noch besser, als ich erwartet habe!«
»Was hast du da bloß angerichtet?«
»Ich garantiere Ihnen, bis heute Nachmittag ist die ganze Auflage ausverkauft. Ich habe gerade den Auftrag erteilt, noch mal fünfzigtausend Exemplare nachzudrucken. Der erste Verkaufstag, und es ist ein Hit!«
»Aber Terry hat es nicht geschrieben!«
»Jetzt kommen Sie aber, Martin. Die Katze ist aus dem Sack. Ich weiß, dass Sie Terrys Bruder sind. Das wollten Sie mir verheimlichen, Sie Gauner. Was glauben Sie, wer mich auf die richtige
Spur gebracht hat? Da kommen Sie nie drauf! Meine blöde Exfrau! Sie hat Sie aus der Zeitung wiedererkannt. Der Groschen ist erst gefallen, nachdem sie schon ein paar Stunden weg war, aber dann hat sie mich angerufen und wollte wissen, was ich da über Terry Dean veröffentlichen würde. Da kapierte ich es! Na klar! Es lag ja auf der Hand! Harry West war ein Pseudonym für Terry Dean! Nicht so clever wie ein Anagramm oder so, aber egal. Das Problem ist nur, Pseudonyme verkaufen keine Bücher, mein Freund. Nicht, wenn der Autor so berühmt ist wie Ihr Bruder!«
Ich trat näher an Stanleys Schreibtisch heran und fragte mich, ob ich stark genug wäre, ihn hochzuheben und Stanley damit zu zermalmen.
»Hör zu, du verblödetes Arschloch«, knurrte ich. »Terry hat es nicht geschrieben! Es ist von Harry! Heilige Scheiße, Harry! Er wird sich vor Wut in der Luft zerfetzen!«
»Ach wirklich. Und wer ist dieser Harry?«
»Er war Terrys Mentor.«
Stanley starrte mich lange neugierig an. »Jetzt hören Sie aber auf, Schluss damit.«
»Du kannst mir glauben. Du hast Scheiße gebaut! Harry wird Amok laufen! Er wird uns beide in Stücke reißen, du Idiot!«
Stanley sah aus, als wäre er zwischen Grinsen und Stirnrunzeln hin- und hergerissen. Schließlich entschied er sich für eine unschöne Kombination aus beidem. »Sie meinen das ernst?«
»Todernst.«
»Sie behaupten also, dass Terry das Buch gar nicht geschrieben hat?«
»Terry kann nicht mal seinen Namen in den Schnee pissen!« »Im Ernst?« »Im Ernst!«
»Oh«, sagte Stanley, bevor er sein Gesicht hinter einem Stapel Papiere vergrub. Er nahm einen Stift und kritzelte irgendetwas hin. Ich riss es ihm aus der Hand. »Hoppla!«, hatte er hingeschrieben.
»Hoppla? Hoppla! Du hast ja keine Ahnung! Du kennst Harry nicht! Er wird mich kaltmachen! Und dann bringt er dich um! Dann wird er Terry umbringen und anschließend sich selbst!«
»Wieso fängt er nicht bei sich an?«, rief Stanley albern. Er sprang auf, knöpfte seine Jacke zu, knöpfte sie wieder auf und setzte sich dann erneut hin. Schließlich war er doch vernünftig genug, in Panik zu geraten.
»Hast du denn nicht wenigstens daran gedacht, meine Story zu überprüfen? Dich über Harry schlauzumachen?«
»Also warten Sie mal...«
»Pfeif sie zurück!«
»Wen?«
»Die Presse! Die Druckerei! Alle!« »Jetzt machen Sie aber mal halblang!« »Auf was wartest du noch?« »Das geht nicht!« »Aber es stimmt nicht!«
»Setzen Sie sich. Beruhigen Sie sich erst mal. Wir müssen uns das gut überlegen. Lassen Sie uns mal nachdenken. Okay. Nachdenken. Ich kann keinen klaren Gedanken fassen. Hören Sie wenigstens mal für eine Sekunde auf, mich anzuglotzen. Ich kann nicht nachdenken, wenn mich jemand anglotzt. Drehen Sie sich mal weg. Ich meine das ernst, Martin, drehen Sie sich weg.«
Zögerlich wandte ich mich um, sodass ich die Wand ansah. Am liebsten hätte ich meinen Kopf dagegengeknallt. Ich fasste es einfach nicht! Schon wieder Terry! Schon wieder im Rampenlicht! Und was war mit mir? Wann war endlich mal ich an der Reihe?
Stanley ratterte Einfälle herunter, die den Raum verpesteten. »Okay. Okay. Okay. Also... was wir mit dem Handbuch des Verbrechens schon haben, ist ein literarischer Skandal. Spektakulär. Kontrovers. Polemisch. Das haben wir bereits. Und nun stellt sich heraus, dass der Autor in Wirklichkeit gar nicht der Autor ist. Das bedeutet... was wir nun haben, zusätzlich zum literarischen Skandal... ist ein literarischer Schwindel.«
»Ein was?«
»Okay. Sie können sich wieder umdrehen.« Stanley grinste mich triumphierend an. »Zwei Fliegen mit einer Klappe!«, rief er enthusiastisch.
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