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Vatermord und andere Familienvergnuegen

Vatermord und andere Familienvergnuegen

Titel: Vatermord und andere Familienvergnuegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Toltz
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Darum solltest du nie jemandem unverbrüchliche Treue schwören: Du weißt nie, ob die Fasern deines Seins später noch etwas anderes vorhaben.
    Diese Wochen des Wartens waren eine ausgeklügelte und erlesene Tortur. Mir war bereits bekannt gewesen, dass der Tag tau-sendvierhundertvierzig Minuten hat, doch während dieser drei Wochen spürte ich auch jede einzelne von ihnen. Meine Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Ich konnte knabbern, aber nicht essen. Ich konnte meine Augen schließen, aber nicht schlafen. Ich konnte mich unter die Dusche stellen, aber nicht nass werden. Die Tage standen unbeweglich vor mir wie erhabene Monumente der Unendlichkeit.
    Auf irgendeine geheimnisvolle Weise kam der Tag der Veröffentlichung dann doch endlich. Um 3 Uhr früh nahm ich einen Bus in die Stadt. Ich wiegte mich in dem selbstgefälligen Gefühl, ein Prominenter zu sein, der irgendwo in der Öffentlichkeit Platz genommen hat und nur darauf wartet, dass sich jemand umdreht und ruft: »He! Das ist doch der Soundso!« Das war ich: der Soundso. Es war ein tolles Gefühl.
    Eine Stadt ist ein seltsamer Ort für die Morgendämmerung. Die Sonne schafft es kaum, in die kalten Straßen vorzudringen, und es dauerte zwei Stunden, bis es hell war. In der George Street kam ich an einem Trupp spät heimkehrender Partygäste vorbei. Sie stolperten übereinander, knutschten sich gegenseitig ab und verfluchten den Anbruch des Tages. Als ich an ihnen vorbeiging, schmetterten sie mir betrunken ein Lied entgegen, und ich führte dazu ein kleines Tänzchen auf, das nicht schlecht gewesen sein muss, denn alle johlten fröhlich. Ich johlte fröhlich zurück. Es war ein johliger Moment.
    Die Buchhandlung Dymocks hatte zugesagt, ein Exemplar ins Schaufenster zu stellen. Ich war zwei Stunden zu früh dran. Ich rauchte ein paar Zigaretten. Ich lächelte, nur damit ich etwas zu tun hatte. Ich schob die Halbmonde auf meinen Fingernägeln tief ins Nagelbett. Ein loser Faden an meinem Hemd beschäftigte mich von 8 Uhr bis 8 Uhr 30. Dann, ein paar Minuten vor neun, erschien eine Frau im Laden. Ich weiß nicht, wie sie da reingekommen ist. Vielleicht gab es einen Hintereingang. Vielleicht hatte sie im Laden übernachtet. Aber was tat sie da drin? Sie lehnte einfach an der Ladentheke, als wäre sie eine Kundin. Und warum hantierte sie an der Registrierkasse herum? Musste das unbedingt jetzt sein? Wenn Buchhandlungen ein neues Buch ins Schaufenster zu stellen haben, sollte das oberste Priorität genießen. Das versteht sich doch von selbst!
    Sie kniete sich hin und schnitt mit einem Messer einen Pappkarton auf. Sie nahm eine Handvoll Bücher heraus und kam zum Fenster herüber. Jetzt war es so weit! Sie stieg auf das kleine Podium und stellte die Bücher in ein freies Regal. Als ich die Bücher anschaute, setzte mein Herz aus.
    Ich las:
     
    Das Handbuch des Verbrechens von Terry Dean
     
    Wie? Was? Ich sah genauer hin. Terry Dean? Terry Dean! Wie zum Teufel war das passiert? Ich rannte zum Eingang. Er war noch verschlossen. Ich hämmerte an die Scheibe. Die Frau im Laden starrte mich von der anderen Seite an. »Was wollen Sie?«
    »Das Buch! Das Handbuch des Verbrechens!. Ich muss mir das ansehen!«
    »Wir öffnen erst in zehn Minuten.«
    »Ich brauche es sofort!«, schrie ich und hämmerte an die Tür. Sie murmelte eine Beleidigung. Ich glaube, es war »Büchernarr«. Ich war machtlos. Sie machte einfach nicht auf. Ich rannte zum Schaufenster zurück und presste meine Augäpfel gegen die Scheibe. Ich konnte den Einband erkennen. In farbiger Schrift, mit einem Stern drum herum, stand da:
     
    »Ein Buch des gesuchten Verbrechers Terry Dean - geschrieben auf der Flucht!«
     
    Ich kapierte das nicht. Nirgendwo auf dem Einband tauchte Harrys Name auf. Scheiße! Harry! Er würde... In meinem Kopf knallte eine Stahltür ins Schloss... Mein Gehirn ließ nicht zu, dass ich weiter an Harry dachte. Das war zu gefährlich.
    Um Punkt neun machte der Laden auf. Ich stürzte hinein, packte ein Exemplar von Das Handbuch des Verbrechens und blätterte hastig darin. Der Klappentext »Über den Autor« war völlig neu. Es war Terrys Biografie, und die Widmung lautete schlicht: »Für Martin, meinen Bruder und Herausgeber«.
    Stanley hatte uns aufs Kreuz gelegt! Aber warum? Ich hatte nie erwähnt, dass ich Terrys Bruder war! Ich warf der Verkäuferin Geld hin und hastete davon, ohne aufs Wechselgeld zu warten. Ohne anzuhalten, rannte ich zu Stanleys Büro. Als ich durch die

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