Vaters Befehl oder Ein deutsches Mädel
Spaziergänge und ganz im Vertrauen erzählt. Er spricht manchmal mit mir über Dinge, die eigentlich für meine Mutter bestimmt sein sollten. Seit ihrer Fehlgeburt vor zwei Jahren übergeht er sie manchmal. Sie kann keine Kinder mehr bekommen. Ich glaube aber schon, dass sie sich noch lieb haben. Wenn Mama ihre Hand auf seinen Unterarm legt und er sie dann anlächelt, spüre ich die Vertrautheit zwischen ihnen, und das gibt mir Geborgenheit. Nur ganz selten zieht er seinen Unterarm zurück, oder er übergeht sie bei unseren Tischgesprächen. Das sieht dann aus, als wäre ihm Mama nicht mehr gut genug. Mir tut das weh, weil ich weiß, dass es Mama traurig macht. Papa ist bestimmt auch traurig, aber auf seine Art.
»Wenn ihr dafür umso tüchtiger seid«, sagt er manchmal zu uns Kindern, »dann gleicht ihr das alles aus.« Viele Kinder zu haben ist eben wichtig für unser Deutsches Reich. Da hat Papa schon recht. Der Führer will eine gesunde Volksgemeinschaft. Aber Mama kann doch nichts für ihre Krankheit. Sie leitet sogar in der NS -Frauenschaft * das Winterhilfswerk * . Das zählt aber nicht so richtig. Frauenkram, sagt sogar mein kleiner Bruder Hans, die Frauen gehören an den Herd, und die Männer ziehen ins Feld.
Dabei hat Mutter Abitur, doch ihre Eltern konnten nur ihre zwei Brüder studieren lassen. Für Mama reichte das Geld nicht. Und ein Mädchen würde sowieso heiraten und Kinder haben und nicht mehr im Beruf sein. Mamas Traum wäre es gewesen, Ärztin zu werden. So ist sie dann Krankenschwester geworden.
»Ein sehr schöner, fraulicher Beruf«, sagt Opa immer und nickt dabei mit dem Kopf.
Mein Vater hat die Mittelschule besucht und dann einen technischen Beruf erlernt. Ich weiß nicht, wo er in der schwierigen Zeit nach dem Weltkrieg überall gearbeitet hat. Nur, dass er schon 1931 in die Partei eingetreten und schnell aufgestiegen ist. Deshalb konnte er auch zur Polizei wechseln und eine Spezialausbildung machen. Nun sitzt er seit einiger Zeit in der Abteilung für Juden- und Räumungsangelegenheiten, die Berlin unterstellt ist. Er ist Major der Schutzpolizei, arbeitet eng mit der Gestapo * zusammen und ist oft in deren Leitstelle. Die neue Stelle bedeutet auch, dass es unserer Familie finanziell gutgeht, viel besser als vorher und besser als anderen. Treue und Pflichterfüllung, so lautet sein Motto. Papa liebt seine Arbeit, den Führer und das Vaterland. Und meine Familie, fügt er immer augenzwinkernd hinzu.
Heute ist mein erster Tag als Schaftführerin. Dauernd schaue ich in den Spiegel, ob meine Uniform auch richtig sitzt. Die weiße Bluse, der blaue Rock, das Halstuch, von einem Lederknoten gehalten. Die Sonne scheint schon früh am Morgen kräftig, und nur wenige Wolken unterbrechen das Blau des Himmels. Seit Tagen hat es nicht mehr geregnet, und die Erde ist staubtrocken. Ein heißer Tag steht uns bevor.
Meine erste Gruppenstunde werden wir deshalb dazu nutzen, unsere Parzelle im BDM -Garten draußen vor der Stadt zu wässern, Kartoffeln zu häufeln und Unkraut zu jäten. Das sind keine besonders schweren Aufgaben und ein leichter Einstieg in meine Arbeit. Meine Mädels sind bestimmt mit Begeisterung bei der Sache. Trotzdem kribbelt es unruhig in meinem Bauch. Mein Vater sagt, dass das gut sei und ein Zeichen für Wachsamkeit. Wenn wir beide unsere Uniformen tragen, spüre ich, wie er mich wohlwollend und stolz betrachtet. Gleichzeitig wird er förmlich und achtet auf einen gewissen Abstand zwischen uns. Aber als er mir heute Glück wünscht, nimmt er mich sogar in den Arm.
Viel zu früh bin ich mit allem fertig. Ich habe mein Fahrrad aufgepumpt, die Dienstvorschriften und das Dienstbuch in meinen Tornister gepackt und zum bestimmt hundertsten Mal das Halstuch in den Knoten gezogen. Ich entschließe mich, im Schatten der Schreinerei auf Gertrud zu warten. Sie wohnt gleich um die Ecke in der Lotharingerstraße und holt mich ab. Die Säge kreischt unablässig. Männer schneiden Holzplatten zu. Damit werden die Fensteröffnungen ausgebombter Häuser verschlossen. Glasscheiben sind knapp geworden.
Pünktlich auf die Minute schwenkt Gertrud in die Sonnenstraße. Sie winkt mir schon von weitem fröhlich zu und lässt die Fahrradklingel bimmeln.
»Heil Hitler!«, ruft sie ohne anzuhalten und etwas atemlos. Ich schwinge mich auf mein Rad und hole sie rasch ein. Unter dem schattigen Dach der Alleebäume auf der Promenade können wir nebeneinanderradeln. Gertrud lächelt mir aufmunternd
Weitere Kostenlose Bücher