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Vaters Befehl oder Ein deutsches Mädel

Vaters Befehl oder Ein deutsches Mädel

Titel: Vaters Befehl oder Ein deutsches Mädel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Zöller
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Und dann lässt du dir, ohne uns zu fragen, auch noch die Haare abschneiden! Was kommt als Nächstes? Lippenstift? Schminke? Ein Balg?«
    Papa dreht eine Runde, die Hände auf dem Rücken verschränkt. Das Lineal hat er endlich weggelegt. »Ich erkenne dich nicht mehr wieder, Paula. Du bist eigensinnig und undankbar. Was ist nur aus meiner lieben Prinzessin geworden?«
    »Papa, ich bin nicht …«
    »Ich will jetzt nichts hören.« Er strafft seine Schultern und spricht mit Kommandostimme weiter. »Zwei Wochen Hausarrest und einige zusätzliche Dienste bei der Essensausgabe im
Hohenstaufen
bringen dich vielleicht auf andere Gedanken. Und jetzt geh mir aus den Augen!« Das
Hohenstaufen
ist ein Restaurant in unserer Nähe.
    Meine Hand liegt auf der Türklinke. Ich beiß mir auf die Lippen.
    Er ruft mich noch einmal zurück. »Noch etwas: Wenn du es nicht schaffst, die Brosche, die ich dir geschenkt habe, zu tragen, nur weil sie vielleicht deiner jüdischen Freundin gehört hat, dann gib sie mir zurück. Ich tausche sie gegen ein Schmuckstück für Mama.«
    Auch das noch. Morgen, auf dem Schulweg, wollte ich sie in den Geheimbriefkasten legen. Jetzt erst recht! Obwohl ich schon bei dem Gedanken daran zittere. Papa sage ich dann, ich hätte sie verloren. Ein Donnerwetter mehr, darauf kommt es jetzt auch nicht mehr an.
    Ich schleiche nach oben in mein Zimmer und setze mich an meinen Schreibtisch.
     
    Liebes Lenchen. Stell dir vor, meine Zöpfe sind ab … einfach so. Ich sehe aus wie … ein Filmstar! Würdest du mich wiedererkennen? Mein Vater hat jedenfalls einen Riesenkrach geschlagen. Ich gebe dir die Brosche zurück. Er verlangt, dass ich sie trage. Aber sie gehört dir. Ab und zu besuche ich unsere Lieblinge. Eigentlich geht es uns gut. Es ist nur so, dass ich dich schrecklich vermisse und so gerne wüsste, wo du bist und ob es dir gutgeht. Ich denke oft an dich.
    Dein Fundevogel

16. Die Entscheidung
    Das fahle Dezemberlicht fällt in hellen Streifen auf die zugefrorenen Pfützen. Die vergangene Nacht war bitterkalt. Jetzt verirren sich Schneeflocken im Morgenlicht. Es ist grau und düster. Eigentlich Kerzenzeit. Schöne Zeit.
    Mathilda hat geschrieben. Aufgeregt nehme ich den Brief aus dem Versteck und schiebe ihn in meinen Ärmel. Wie gerne würde ich ihn sofort lesen. Aber wo? Auf dem Schulweg? Auf der Promenade? Nein, viel zu gefährlich. In der Schule schiebe ich ihn erst in meine linke Socke und dann unter den Träger meines Unterhemdes. Schließlich landet er im Bündchen unter dem Gummizug meines Rockes.
    »Hast du Flöhe?« Gertrud sieht mich merkwürdig an und grinst.
    Ich sage nichts. Später lese ich.
     
    Ich habe solche Angst.
    Wir haben keine Papiere, kein Zuhause, kein Essen. Sie behandeln uns wie Vieh. Weg von hier, das ist unser einziger Gedanke.
    Aber wohin?
    Wir hören von Transporten.
    Es gibt Gerüchte:
    Sie werfen Kinder in offene Gruben.
    Andere werden erschossen.
    Die Transporte in den Osten gehen in den sicheren Tod.
    Wir werden sterben.
    Ich würde so gerne leben!
    Und ich habe solche Angst.
    Dein Lenchen
     
    Du warst eine gute Freundin. Danke für die Brosche. Ich nehme sie mit. Sie wird mich begleiten.
     
    Es ist der 13. Dezember, acht Uhr abends. Erst habe ich auf meinem Bett gelegen, die Rosen an der Stuckdecke angestarrt und an die Brosche an Mathildas Brust gedacht. Ich habe geweint, aber jetzt sind meine Gedanken klar. Hans hat sich mit seiner Taschenlampe und
Pünktchen und Anton
unter die Bettdecke verzogen. Meine Mutter sitzt bei ihrer Schneiderin und rädelt Schnittbogenmuster auf Packpapier. Kragenlose Kleider sind im Augenblick wohl ein absolutes Muss. Ich bin in ihr Ankleidezimmer geschlichen und habe ihren besten Ausgehmantel vom Bügel genommen. Er ist dunkel und bodenlang. Ich trage einen ihrer Hüte dazu. Vor dem Spiegel zupfe ich mir die Fransen meines Ponys in die Stirn. Etwas Rouge, etwas Lippenstift, nicht zu viel. Ein Hauch nur, und schon macht es aus mir eine erwachsene Frau.
     
    Wo mein Vater ist, weiß ich.
     
    Sanft fällt die Tür hinter mir ins Schloss. Ich schiebe mein Fahrrad durch Nebenstraßen über die Promenade, am Hörster Friedhof und am
Hohenstaufen
vorbei auf den Schulhof der Mauritzschule. Die Nacht ist pechschwarz. Die Luft ist feucht und kalt. Ich ziehe den Schal fest um die untere Hälfte meines Gesichtes. Mein Atem haucht Nebel. Es riecht nach Schnee.
    Ich stehe versteckt in den Büschen an der Straße. Vor mir liegt die große

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